Ostgrat

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Routen Details:
Zwei Tage später — am 24. September 1912 — verlassen J. Ostler, V. Sohm und ich an einem trüben Vormittag die Leutkircher Hütte. Bescheidenen Sinnes und Zieles — kalter Wind und viel Schnee sind Ursache der Bescheidenheit — wandern wir auf dem zur Ulmer Hütte führenden Höhenweg über des Almejurjoches weißgeflecktes Karrenfeld und steigen nach Überschreitung des östlich der Bacherspitze gelegenen Vorgipfels in das stille Gamskarl ab, das Fallerstais- und Bacherspitze einschließen. Der Winter hat sich hier bereits eingenistet, tiefer Schnee deckt des Kessels Blockwerk. Zur Linken stürzt die Bacherspitze in mächtigen, glatten, von feinen Schneeadern durchzogenen Platten ins Kar. Zur Rechten türmt sich dunkelfarbig mit weißen Schneehauben ein Grat zu dem eigensinnig vom Hauptkamme abgesonderten Gipfel der Fallerstaisspitze.
Hatten wir ursprünglich die Besteigung der Weißschrofenspitze von Norden geplant, so wenden wir uns, schon jetzt des Schneewatens überdrüssig, dem Ostgrat der Fallerstaisspitze zu. Zögernd — ein kalter Wind fegt über den Grat — entrollen wir das Seil. Mißtrauisch beginnt der Erste zu klettern, während der Zweite das Seil bedient, der Dritte sich die Hände wärmt. Dann bläst der Erste in die Hände, der Zweite folgt — kalte Felsen, kalter Schnee, kaltes Seil und kalter Wind bis zum Gipfel. Und doch gesellt sich zu feindlicher Kälte und dem Ernste der Arbeit sonniger Berghumor, der sich am Steinmann zu heller Freude verdichtet.
Als wir auf dem Gipfel lagern, ruht auch der Wind und läßt uns Muße, die schöne Aussicht zu genießen. Eindrucksvoll wirkt der Anblick des in wilder Laune getürmten Grates, der sich zwischen Knoppen- und Almejurjoch entfaltet. Stanskogel und Fallesinspitze weisen die Harmonie und Kühnheit ihres Aufbaues ; friedlich scharen sich tief unten die Häuser von Kaisers um das Kirchlein. Gleich altem Gemäuer steigt der düstere Kamm der Kuglaspitze aus dem Tale. Der schönste der Berge in der Runde ist jedoch die Valluga; erst hier verstehe ich die Berechtigung des ihr verliehenen Ehrentitels „Königin des Arlbergs". Zwei glänzende Firnfelder fallen von den Schultern dieses Berges, umrahmen den dunklen Felsleib, aus dem sich wieder eine Firnschneide huldigend zum Gipfel schwingt. Zur Linken hält die dunkle Knoppenjochspitze Wacht, zur Rechten reckt sich die Rockspitze, den Gesetzen der Statik spottend, in die Luft. Ohne Schwierigkeiten erreichen wir über den breiten, plattigen Südgrat unter östlicher Umgehung des letzten steilen Grataufschwunges das weiße Kar, lassen
den Vorgipfel der Bacherspitze rechts liegen und wandern zufrieden zur Hütte zurück. Die Kletterei über den Ostgrat der Fallerstaisspitze ist kurz, luftig und stellenweise schwer. Aufzeichnungen verleidete mir die Kälte. Hier folgt, was an Einzelheiten mein Gedächtnis bewahrt.
„Man geht vom Kar über steile Grashänge zur ersten größeren Grateinschartung, steigt über eine anfangs grasdurchsetzte Wand (ein doppelgipfliger Turm mit abgespaltenem Felsstücke bleibt rechts) auf den turmbesetzten Grat. Über und neben diesem kletternd, erreicht man nach südlicher Umgehung des letzten Turmes durch einen Spalt eine tiefe Gratscharte. Von hier klettert man über eine gegen 1 5 m hohe, ausgesetzte Steilwand (schwerste Stelle) rechtsseitig empor auf den Grat und erreicht nach einigen Minuten ohne Schwierigkeiten den Gipfel. Wir benötigten von der Hütte bis zum Gipfel 3 3 A Stunden, eine Zeit, die sich bei normalen Verhältnissen stark verringert.

Quelle. Jahrbuch des DÖAV 1913 Seite 165-166


Datum erste Besteigung:
24.09.1912
Gipfel:
Fallersteisspitze
Erste(r) Besteiger(in):
Kurz Fritz
Ostler Josef
Sohm Viktor