Nordwand - "Fürst und Gef.-Route"
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Routen Details:
Die Nordwand des Hohen Zaunes in der Venedigergruppe.
Von Mag. Rameis, St. Polten.
Erste Begehung der Nordwand mit direktem Ausstieg zum Gipfel am 19. Juli 1933 durch die Mitglieder und Jungmannen der S. St. Polten: Prof. Karl Fürst (+), Mag. Rameis, Pfaffenberger (+), Denzel, Eigenthaler.
Dauer der Fahrt von der Alten Präger Hütte zum Gipfel 7 1/2 Stunden, hievon 4 1/2 Stunden für den Wandduichstieg von der Randkluft bis zum Gipfel bei einer Wandhöhe von 360 m. Sehr schwielige Eistur über Firn, blankes Eis und lockeren Schnee; Neigung der Wand wechselnd von 45 bis 50«.
Schlechtwetter hatte uns vor allem auf der Heimat-Hütte am Felbertauern festgehalten, aber auch das „Sichwohlfühlen" in der trauten Hütte trug seinen Teil zur Verzögerung bei. Wir fühlten uns so wohl bei den Tirolerknödeln der Hüttenwirtin, daß wir ganz gerne einen Tag zugaben; bei diesem Wetter hatten wir auch .nichts versäumt. In dieser Spanne Zeit konnten wir dafür in dem sich stetig klärenden Wetter altbekannte Gipfel unter ganz außergewöhnlichen Verhältnissen besteigen. Am Vormittag kämpften wir uns durch knietiefe Neuschnee¬
massen zum Hausberg, dem Tauernkogel, über ein steiles Schneefeld bis 30 m unter den Gipfel hinauf, von dort führte uns der Felsgrat weiter zum höchsten Punkt. Acht Tage vor unserer Ankunft war der Tauernkogel nach Erzählung des Hüttenwirtes noch eine erstklassige Wächtentur. Am Nachmittag stapften wir an mächtigen Schneewehen vorüber zum Hochgasser hinan, saßen an seines Gipfels Wächtenrand und freuten uns der sonnigen Augenblicksbilder, die uns das jagende Nebelheer erhaschen ließ. Später wandelten wir über schmale Firngrate, auf fußbreiten Firngesimsen hinüber zu den Bärenköpfen, unterdessen aus grünem Anger die eisverglästen Spiegel lieblicher Vergseen blinkten. So bescherte uns der Tauern, seine Berge und die Hütte der Sektion die ersten Freuden unserer Sommerfahrt in reichem Maße, hätten wir noch das flinke Gleitholz mitgeführt, wäre das Glück des Erlebens bestimmt noch weit größer gewesen.
Am Morgen des dritten Tages führte uns dann der tiefverschneite St.-Pöltner-Westweg unserem eigentlichen Ziele, der alten Prager Hütte, entgegen. Knietief, oft auch bis an die Hüften versank bald dieser, bald jener in listig überdeckte Sohlräume in den Vlockhalden, und so
wurde dieser Weg zu einer mühevollen Sache. Müde von des Weges Plage und der schweren Rucksacklast lagen wir bald im Grünen, bald auf Felsen faulenzend und freuten uns des blauenden Himmels, der blinkenden Firne, der rauschenden Wasser. Es lag ja ein ganzer Tag vor uns für diesen sechsstündigen Weg, wir brauchten mit der Zeit nicht zu geizen. So kamen wir erst gegen 16.30 Uhr ans Ziel und fanden die Hütte leer, so wie die meisten anderen, die wir besuchten.
Die Alte Prager Hütte erschien uns nicht nur für die Begehung des Iaungrates günstiger als die höher liegende neue Hütte, auch die Einfachheit und Gemütlichkeit dieses veralteten" Vergsteigerheimes hatte es uns angetan. Man wandert nicht unter kundiger Leitung über diverse Stiegen und Gänge, alles ist gleich zur Hand, hier der Tisch und dort das Lager. Um für den nächsten Morgen zeitraubendes Suchen zu vermeiden, wurde noch abends der Abstieg zum Schlattenkees erkundet, dann legten wir uns bald, müde wie wir waren, aufs Ohr bis zur Tagwache um 2.30 Uhr.
Als morgens der Wecker rasselte und wir forschend vor die Hütte traten, da jubelten wir, denn ein blanker Sternenhimmel breitete sich über dunkle Berge und schimmernde Firne, und drüben über dem Felder Tauern leuchtete die Mondsichel aus dunklem Himmelsgrund.
Fürwahr, das war ein Tauernwetter, wie geschaffen zu langer Fahrt. Um 3.30 Uhr waren wir marschbereit und folgten mit leichtem Gepäck und zeitweiliger Laternenhilfe dem holperigen Weg zum Gletscher hinab, hielten uns auf diesem zuerst an die Stangenmarkierung zur Vadner Hütte und schwenkten erst im letzten Drittel der Gletscherquerung nach rechts ab gegen einen Eisbruch, der in der Fallinie des Hohen Zaunes liegt. Hier nahmen wir Seil und Eisen und turnten über die keck gespannten Eisbogen des Bruches an das jenseitige Gletscherufer. Ganz unvermittelt steil brandet die Woge des Eises zu Felsen empor und nötigte uns durch diese Steilheit sowie durch eingestreute Spalten zu mehrfachem Wenden. Als wir die Höhe dieser Rampe erklommen hatten, waren wir nicht wenig erstaunt, ober ihr einen weiten Firnboden vorzufinden, den wir westwärts durchquerten. Nochmals mußten wir über eine Steillehne hinan, dann schob sich eine zweite Terrasse ein, auf der wir westlich schreitend die tiefsten Felsen des Iaungrates erreichten. Im Verhältnis zur Steilheit des Geländes sowie der Weite des Raumes waren wir rasch emporgekommen, dies verdankten wir den günstigen Schneeverhältnissen von tragfähigem Harsch mit stellenweiser Pulverauflage. Dieser günstige Umstand veranlaßte auch die Änderung unseres Planes, statt über den Grat den Gipfel über seine Nordwand zu gewinnen, und so kam es zu unserer Erstbegehung dieser Wand. Diese unvorhergesehene Änderung des Weges wie die Großartigkeit des eindrucksvollen Wanddurchstieges selbst gaben dem Unternehmen eine besondere
Note und lassen diese Tur als ein unvergeßliches Erleben in uns fortschwingen. Die eben erreichte tiefste Felsrippe des Grates verließen wir nun nach rechts (westlich) und steuerten über einen sanft steigenden Gletscherboden unter dem Nordgehänge des Grates hin gegen jene Gletscherbucht, die, vom Hohen Zaun und der Schwarzen Wand beengt, einen mächtigen Bruch bildet. Im Hinschreiten schon musterten wir die links ober uns am Gratverlauf ansetzende dunkle Linie der Randkluft, die in kühnem Bogen die ganze Nordseite des Grates und die Nordwand selbst durchreißt. Noch lag sie zu hoch über uns, als daß wir deutlich Möglichkeiten des Durchkommens erspähen hätten können, aber der Gedanke beschäftigte uns, was sie uns wohl aufzulösen geben werde, wie und wo wir sie überlisten würden? Je höher wir kamen, desto mehr konnten wir das unfreundliche Aussehen des Hindernisses erkennen. Als wir schließlich nahe vor ihr standen, wölbte sich ein gewaltiger, eiszapfenbewehrter Wulst über den verschneiten Spalt, über mannshoch klafften die Nänder der Randspalte auseinander, dazwischen lauerte, von feinem Triebschnee überdeckt, die tückische Falle der Tiefe. Hier war keine Möglichkeit des Turchstieges, aber westwärts hin stieg der tiefe Kluftrand kammartig empor, suchte Verbindung nach oben. Wir schritten auf diesem Rücken hin, und siehe da, ganz nahe dem Eisbruch fand sich die Brücke über die Spalte. Der Weg zur Nordwand war gegeben, aber nicht so einfach, als es von unten schien, vollzog sich die Aberlistung dieser heiklen Stelle, denn wir mußten im Anstieg erkennen, daß nicht eine, sondern mehrere Klüfte unter uns waren. Wie auf Katzenpfoten schleichend, mit Pickelhilfe und Handgriffen zogen wir uns über den trügerisch bedeckten Schlund. Als wir dann verschnaufend am anderen Ufer standen, wurde uns beim Blick in die Tiefe, auf die vorgebaute Randkluft, auf die Spalten im Glescherwinkel und im Bruche der Ernst der Fahrt so recht klar. Die Brücke war hinter uns abgebrochen, es gab kein oder doch nur ein sehr schwieriges Zurück; um so mehr konzentrierte sich unser Wille auf das gesteckte Ziel: empor durch die Firnmauer zum Gipfel im Sonnenglanz. Feierlicher Friede der Eiswelt umgab uns, kein häßlicher Laut durchbrach die Stille der Höhen, nur des Pickels harter Klang, das Knirschen der Eisen, das Rieseln des abgehenden Firnschnees und des splittern, den Eises fügten sich harmonisch in die ernste Umwelt. Kein Sonnenstrahl erreichte die düster ragende Wand, wärmte die fünf an steiler Mauer aufwärts strebenden Menschlein. — Was die Venedigerpilger wohl sagten oder dachten, die zu den fünf Punkten in der Firnmauer emporblickten? Ob sie uns verdammten oder beneideten? Wir hätten jedenfalls mit ihnen nicht getauscht.
Von der Nandspalte weg führten wir erst eine Kehre westlich gegen den Gletscherwinkel, dann legten wir eine Wende nach links gegen die Gratfelsen, stiegen rechtsschwenkend nochmals über dem Bruch hinan und zogen unsere Spur steil aufwärts gegen den Grat!, wandten
uns nahe einer Eisrinne westlich und steuerten in weit ausholendem schrägen Anstieg auf zwei Felsköpfe zu, die, dem Eis entragend, einen willkommenen Rastplatz boten. Von hier weg nahmen wir wieder östliche Richtung, um nach kurzer Zeit eine neue Schleife nach rechts zu legen. Nochmals stiegen wir gegen den obersten Felsgrat empor, dann hackten wir schräg westlich hinan, bis zu eisfreien Felsen, die ein zweites Mal Gelegenheit boten, die Beine auszuruhen. Mit zunehmender Höhe, besonders in den Lawinenfurchen und Wasserrinnen, schwand die Firnauflage fast völlig; in der Wandmitte mußten wir eine recht mißliche Eiszone passieren, und diese Begleiterscheinungen verlangsamten das erst recht flotte Tempo. Die Sicherung mit Seil und Pickel war in der Eiszone oft eine recht fragliche; das Eis erwies sich als nicht nur sehr hart, der Klang des Pickels ließ auch auf nahen Felsuntergrund schließen. Der Sprühregen von Schnee und Eissplittern, der öfters die tiefer Gehenden traf, war neben dem Kältegefühl in den Füßen die einzige unangenehme Erscheinung der Fahrt. Nach dieser zweiten Rast strebten wir wieder stufenschlagend gegen den obersten Firngrat hin. Hier traf uns zum erstenmal die Sonne, funkelnde Kristalle blendeten das des Lichtes entwöhnte Auge, golden leuchtete der feingeschwungene Saum des Firnkammes. So freudig wir sonst den Sonnengruß erwarteten, diesmal waren wir nicht sehr davon erbaut, denn wir bangten für die gute Beschaffenheit des Schnees im letzten Anstiegsstück zum Gipfel, der bereits voll im Lichte lag. Eine flache Kehre rechts führte uns in den Vereich der obersten Felsköpfe, die in der Fallinie des höchsten Punktes liegen. Mit größter Steilheit verschmilzt die Wand mit dem Gipfelrücken, ein grandioser Tiefblick läßt die Eiswand bis hinab in den düsteren GletscherWinkel überschauen. Rechts von den Felsen zieht eine mit lockerem Schnee erfüllte Rinne hinan zum Wächtensäum, und unter uns verliert sie sich in der jäh absinkenden Eiswand. Rechts von dieser Rinne leitet ein Firnkegel in idealer Linie über die Wächte zum Gipfel — unser letzter Anstiegsweg. Die Traverse der Rinne erforderte äußerste Vorsicht, denn der Schnee wich bei jedem Tritt unter dem Fuß, und so gewannen wir nur langsam Raum. Der anschließende Aufstieg über den dem Gipfel angelehnten weißen Kegel war wohl das Eindruckvollste der ganzen Fahrt, denn wie auf Leitersprossen schien man
in den blauen Himmelsdom zu steigen. Links den Pickel tief verankert, rechts ein Henkelgriff für die zweite Hand, zwei tief gestoßene Tritte für die Füße, die dem ganzen Vorfuß Halt gaben, so kletterten wir mühsam das letzte Stück empor. War dieses letzte Stück zum Gipfel auch heikel, so nahe dem Ziele verzagten wir nicht, sondern stiegen mit Freude und Stolz nach 4 1/2 Stunden Eisarbeit über die Wächte zum Gipfel aus.
Freude leuchtete aus aller Augen, als sich nach altem Vergsteigerbrauch die Hände der Seilgefährten mit herzhaftem Druck umschlossen. Freudig bewegt lagerten wir auf des Berges Schneehaupt und schauten in die unermeßliche Weite grauer Felsburgen, weißer Dome, dabei wurde uns das Herz so weit, so weich, vom Höhenglück erfüllt.
Das schwierigste Ziel des Tages war erreicht, aber erst nach Überschreitung der Schwarzen Wand, des Rainerhorns und der Besteigung des Venedigers wollten wir an die Heimkehr denken. Am Spätnachmittag gab uns der Rückweg zur Prager Hütte wiederholt Gelegenheit,
hinüber und zurück zu blicken auf die Wand, der wir vor Stunden entstiegen waren. Mit Gipfelglück und Siegerfreude im Herzen traten wir um 16.30 Uhr über die Schwelle des traulichen Vergnestes, der Alten Prager Hütte.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1937, Seite 95
Datum erste Besteigung:
19.07.1933
Gipfel:
Hoher Zaun
Erste(r) Besteiger(in):
Denzel ???
Eigenthaler
Fürst Karl
Pfaffenberger ???
Rameis R.