Payer Julius

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Biografie:
geboren in Schönau (Tschechien)
gestorben in Veldes (Jugoslawien)

Der Vorstand der Section Austria Exc. Freiherr von Hofmann und der Nordpolfahrer Julius Payer wurden vom Club alpino italiano zu Ehren-Mitgliedern ernannt.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1877, Seite 20

Julius v. Payer.
Von Dr. A. Dreyer in München.
Am 31. August verschied zu Veldes (in Kram) einer unserer bedeutendsten Alpenpioniere, der - namentlich als wagemutiger Erschließe der Ortlergruppe - unverwelkliche Bergsteigerlorbeeren pflückte: Julius v. Payer.
Den „Matador der deutschen Bergsteiger" nannte ihn unser unvergeßlicher Karl Hofmann. In der Tat wirkten in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts seine kühnen Vorstöße in das Ortler- und Adamellogebiet befeuernd und anspornend auf den tatenlustigen alpinen Nachwuchs. Wie Hermann von Barth ein furchtloser Draufgänger, ließ er jedoch dabei nicht immer die wägende Umsicht eines Stüdl und Hofmann walten.
Geboren am 1. September 1842 zu Schönau bei Teplitz, widmete er sich der soldatischen Laufbahn und genoß seine Ausbildung auf der Militärakademie zu Wiener-Neustadt. Im österreich-italienischen Kriege 1866 bewies er in der Schlacht von Custozza durch Eroberung zweier italienischer Geschütze großen Heldenmut. Als Generalstabsoffizier wurde er sodann mit der kartographischen Aufnahme der Ortler- und Adamelloalpen betraut.
Das war just nach seinem Sinn. Den 22jährigen Leutnant hatte ja schon eine Glocknerbesteigung (von Kals aus) im September 1863 für die Hochlandswelt entflammt. Lodernde Bergbegeisterung und rastloser Forscherdrang trieben ihn ein Jahr darauf in die Adamellogruppe, deren erster Wissenschaftlicher Erforscher und juristischer Herold er werden sollte.
Da Payer von Haus aus kein Vermögen besaß, mußte er auf seinen Bergtouren mit seinen geringen Mitteln haushälterisch umgehen. Es ist bezeichnend, wenn man erfährt, dass, als ihm im September 1867 sein knappes Offiziersgehalt in sein damaliges Standquartier nach Pejo geschickt wurde, der dortige Kurat „Mitleid mit ihm empfand und meinte, ihn darüber trösten zu müssen".
Mit dem Führer Nicolussi bestieg Payer von Molveno aus am 4. September 1864 die Bocca di Brenta und gelangte nach Pinzolo. Seine spätere warmherzige Schilderung dieses romantischen Vergleiches führte diesem in der Folge zahlreiche Freunde zu. In Pinzolo dingte er zwei Bewohner des Genovatales (Botteri und Caturani) als Führer und den „baumstarken Almknecht" Bertholdi für seine vierzehntägigen Fahrten im Adamellostocke.
Doch den sogenannten „Führern" fehlte es an allem: an der nötigen Ausrüstung, an der Bergkenntnis und nicht zum wenigsten an Mut und Ausdauer. Payer sorgte zunächst für Bergstöcke; doch die Stelle des Seils mußten zusammengeknüpfte kleine Stücke vertreten, und zum Hauen der Eisstufen hatte Botteri statt einer Axt „eine Art Luckermesser" mitgebracht. Nach 8 ½-stündiger Wanderung ward der nördliche Vorgipfel des Dosson di Genova (3430 Meter) erreicht.
Mehr noch als hier trat das rücksichtslose Benehmen der Führer am folgenden Tage hervor. Vor dem Gipfel des Corno del Lago scuro verweigerten sie den Gehorsam und vergnügten sich mit der Gemsjagd, während Payer die Tour allein ausführte. Am 15. September bezwang er den jungfräulichen Corno Bianco (von der Seite der heutigen Mandronhütte aus) und den bis dahin noch unerstiegenen Adamello. „Wieder"; sagt Payer, „ließen sich die Führer ziehen", und am Fuße des Adamello lehnte Botteri jeden weiteren Schritt ab.
Tags darauf glückte dem unerschrockenen Bergfreund die Ersteigung der Presanella — trotz des furchtbaren Sturmes, der seine Begleiter derart erschreckte, daß sie nur mit größter Mühe zum Weitergehen zu bewegen waren. Wer Payers anschauliche Fahrtenschilderungen liest, kann sich nicht verhehlen, dass hier des öfteren Tourist und Führer die Rollen tauschten.
Von 1865 an wandte Payer sein Augenmerk auch der Ortlergruppe zu. Am 24. August 1865 erklomm er die Suldenspitze, die ihm als Orientierungspunkt für seine kartographischen Arbeiten diente. Drei Tage darauf stand er als der erste Besteiger auf dem Scheitel der Vertainspitze, und zwar mit Hans Pinggera, der sich unter seiner Leitung zu einem tüchtigen Führer ausbildete. Mit ihm bestieg er auch am 2. September die Hintere Schöntaufspitze und zwei Tage darauf den Ortler und am 6. September den Scheitel der Königsspitze, unbeirrt durch Nebel, Wind und Hagel. Für den braven Pinggera, der „bei seiner schweren Arbeit ebensoviel Sicherheit als Kühnheit" bewies, hat Payer nur Worte hohen Lobes.
Tags darauf wurde der dreigipfelige Cevedale besucht. Den mittleren (nordöstlichen) Gipfel hatte schon früher Mojsisovics erreicht, einer der Väter des Österreichischen Alpen-Vereins, der neben Tuckett als Bahnbrecher des Ortlergebietes erscheint. Mit seinem bewährten Pinggera bezwang Payer den Nord- und Südwestgipfel (3762, beziehungsweise 3774 Meter).
Nach den Kriegswirren lockte ihn der Herbst 1866 aufs neue in das Ortlerreich. Wiederum war meist Hans Pinggera sein treuer Begleiter auf diesem mehr als dreiwöchentlichen Eroberungszuge, den die Erstersteigung der 3458 Meter hohen Tuckettspitze am 12. September eröffnete.
Dann folgte am 20. September die Ersteigung der Schneeglocke und am 25. die Bezwingung der Madatschspitze, wobei Payer, diesmal unter der Führung von Georg Thöni, neuerdings große Kaltblütigkeit an den Tag legte. Monte Vides (Geisterspitze), Cristallospitze, Zebru, Hochleitenspitze und Großer Eiskogel bedeuten weitere Ruhmesblätter für den unerschrockenen Hochalpinisten Payer.
Auch auf seiner vierwöchentlichen Fahrt im Jahre 1867 errang er neue Bergsiege in der Ortlergruppe. Auf der von ihm (am 1. September) erstmals erstiegenen Cima Lago Lungo „rayonnierre" und maß er nahezu vier Stunden lang, und auf dem (am 4. September) bezwungenen Monte Vioz (3644 Meter) weilte er fast zwei Stunden, obwohl Kälte und Sturm den Aufenthalt daselbst unerträglich gestalteten. Hier wie bei den Erstlingsfahrten auf den Pallon della Mare, den Pizzo Taviela, die Punta Cadini und den Monte Salini entfaltete sich Pinggeras bewunderungswürdiges Pfadfindertalent immer mehr. Dasselbe hatte auch (21. September) bei der Tour auf den Monte Giumella und die Punta San Matteo (3692 Meter) den richtigen Weg auf dem Monte Tresero unter „Umgehung der schauerlichen Eismassen" gewählt; allein Payers Eigensinn duldete eine „Bevormundung"; nicht. Bald hätte ihnen diese Abenteuerlust das Leben gekostet. Durch einen Sturz über eine schneeumhüllte Felswand verloren sie Bergstocke und Eisaxt. Dennoch vollführten sie noch am gleichen Tage die Besteigung des Tresero, und drei Tage hernach (ohne Bergstock und Seil) erklommen sie die Cima Venezia und überschritten den Hochjochferner.
Bisher hatte Payer seine alpinen Fahrten und Forschungen aus eigenen (kargen) Mitteln bestritten; erst 1868 setzte er seine Touren im Auftrage des österreichischen Kriegs-Ministeriums fort. Zunächst zog es ihn abermals in die Ortlerregion, wo er mit Pinggera am 8. und 9. August drei bedeutende Erstlingstouren (Hohe Angelusspitze, 3536 Meter, Schildspitze, 3468 Meter, und Zufrittspitze, 3435 Meter) ausführte.
Vom 19. August bis 17. Oktober verlegte er das Feld seiner Tätigkeit wieder in die Adamellogruppe. Mit drei Jägern bezwang er hier die Cima del Tamale (29. August) und den Monte Stablel (1. September), den er tags darauf noch einmal bestieg. Am 3. September erklomm er den Crozzon di Lares, Corno Cavento und Care Alto, letzteren als Zweitersteiger.
Nur fünf Jahre währte seine alpine Laufbahn, und doch war sie außerordentlich reich an wissenschaftlichen wie an juristischen Erfolgen. Die Früchte seines Forscherfleißes legte er in „Petermanns Mitteilungen" nieder. Seine Monographien über die Ortler- und Adamelloalpen nehmen nach dem Urteil von Karl Schulz „in der deutschen alpinen Literatur einen hohen Rang" ein. An seine wissenschaftliche Darstellung schließt sich die plastische Schilderung seiner Fahrterlebnisse; sie ist besonders wertvoll für die Geschichte des Alpinismus jener Tage. Von unglaublich zäher Ausdauer, kannte er auf seinen Alpenreisen keine Schonung für sich. „Rasttage" sagt er selbst, „deren meine Gemsennatur nicht bedurfte, fielen ohnehin weg." Seine rücksichtslose Energie trieb ihn hie und da zu einem gefährlichen Spiel mit dem Leben. Als er den schon erwähnten Übergang zum Tresero wagte, rief ihm Pinggera in Heller Entrüstung zu: „Sie sind ja dümmer als die Nacht."
Als genügsame Soldatennatur trug er Entbehrungen aller Art mit Leichtigkeit. Häufig mußte er oberhalb der Waldregion im Freien übernachten, „wenig erheitert durch Regen und Hagel". Trotz seiner zahlreichen Bergbesteigungen (in der Ortlergruppe allein über 60) entzückte ihn doch immer wieder der Ausblick von einem hohen Gipfel, und seine Naturbilder sind von dichterischem Glanz umflossen, so die Schilderung der Abendlandschaft von der Mandronhütte aus: „Geisterhaft die Granitgerüste verklärend, quoll des Mondes stiller Glanz hinter dem m schwarze Nacht gehüllten Mandronkämm hervor, ergoß sich über die Eiswüsten, versilberte die weißen Bergeshäupter ___";
Vom Alpinisten ward er zum Nordpolfahrer. Wie das zuging, erzählt er selbst in humorvoller Weise: „1868, während der Aufnahme der Ortleralpen, drang ein Leitungsblatt mit einer Nachricht von der deutschen Vorexpedition Koldeweys bis zu meinem im Gebirge gelegenen Zelte. Ich hielt den Hirten und Jägern, die meine Begleitung ausmachten, abends beim Feuer einen Vortrag über den Nordpol."
Auf Petermanns Antrieb nahm er 1869/70 an der zweiten deutschen Nordpolexpedition teil und drang an der Ostküste Grönlands bis zum 77. Grad nördlicher Breite vor. Ein Jahr später führte er mit dem Schiffsleutnant Weyprecht die österreichische Polarexpedition, die das Meer zwischen Spitzbergen und Nowaja Semlja erforschte.
Weitesten Kreisen aber wurde sein Name als Leiter der österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition bekannt, die er 1876 in einem fesselnden, mit zahlreichen Abbildungen versehenen Buche beschrieb. Von Bremerhaven ging das Schiff (der „Tegetthoff"), das Weyprecht befehligte, am 13. Juni 1872 in die See. Seine Begleitung bestand unter anderem auch aus zwei Jägern aus dem Passeiertal, die ihm bei seinen Vorstößen in die nordische Eiswüste gute Dienste leisteten.
Schon Ende Juli 1872 wurde das Schiff von Eis umschlossen und langsam nordwärts getrieben. Am 30. August 1873 sahen sie ein „strahlendes Älpenland", das Payer zu Ehren seines Herrschers „Kaiser Franz Josef-Land" benannte. Doch erst am 1. November konnten sie dieses Land betreten. Drei Schlittenreisen unternahm Payer zur Erforschung dieses Gebietes, wobei er bis 82° 5' nördlicher Breite gelangte. Am 20. Mai 1874 verließen sie das Schiff und traten auf Booten die gefahrvolle Rückreise an. Erst am 15. August kamen sie ins offene Meer und erreichten dann ohne weiteren Anfall die Heimat.
Bald nachher nahm Payer seinen Abschied als Offizier und widmete sich unter Leitung berühmter Meister der Malerei. Die Stoffe zu seinen packenden Bildern schöpfte er aus seinen Nordpolfahrten und aus der Expedition Franklins. Die späteren Nordpolfahrten verfolgte er mit lebhaftem Interesse, und in „Petermanns Mitteilungen" besprach er wiederholt die literarischen Neuerscheinungen auf diesem Gebiete. Auch als Künstler schuf er Großes. Seine Gemälde wurden mit der goldenen Medaille der Münchner Akademie und des Pariser Salons gekrönt. Vor drei Jahren beraubte ihn ein Schlaganfall der Sprache und lähmte seine Glieder. Endlich nahte sich ihm der Tod als Erlöser. Ein dreifacher Kranz schmückt sein Haupt: als Alpinist, als Polarforscher und als Künstler. Längst hat die Erschließungsgeschichte des Alpinismus seinen Namen mit unvergänglichen Lettern aufgezeichnet, und sie wird seiner glühenden Bergbegeisterung und seines kühnen alpinen Forscherdranges allezeit in Ehren gedenken.
Von einem geschätzten, dem unvergeßlichen Forscher durch langjährige Freundschaft nahe gestandenen Mitglieds unserer S. Reichenau erhalten wir noch die folgenden Gedenkworte:
Von dem Grabe des Freundes zurücktretend in den schmerzverdunkelten Alltag, erreicht mich die Aufforderung, dem verdienstvollen Manne ein Erinnerungsblatt zu widmen. Betäubt durch den Verlust, verwirrt durch das Außergewöhnliche, als Laie die Verdienste eines großen Toten in Worten zu feiern, fällt mir die Erkenntnis meiner Unfähigkeit, diese Aufgabe zu erfüllen, doppelt schwer in die Seele. In die Ratlosigkeit des Augenblickes tritt die verklärte Gestalt des teuren Freundes mit erlösenden Worten: „Weise allein ist die Güte, sie findet immer Lösungen." — So beginnt ein Brief, den mir Payer vor zwei Jahren schrieb. Ja! Die Weihe des Andenkens erfordert nicht Tränen und Zagheit, sondern lebendige Worte dankbarer Bewunderung und Verehrung für den guten, edlen, hochgeistigen Mann, der Freundschaft zu schätzen wußte wie selten einer, dessen Freundestreue, als Widerhall empfunden, ein Menschenleben reich machen konnte und dessen Tod in den Herzen aller jener, die ihn kannten, die Qual der Unersetzlichkeit zurückläßt.
Doch die volle Würdigung seiner Persönlichkeit als kühner alpiner Pionier und Polarforscher, als Maler und Gelehrter fällt den berufenen Männern der Gegenwart zu; sie übernehmen die heilige Pflicht, die Ehre seines Andenkens als kostbares Vermächtnis kommenden Zeiten zu erhalten. Ich vermag die Verdienste Payers nur an seiner grenzenlosen Liebe zu den Bergen zu messen. Diese Liebe hat sein ganzes Leben ausgefüllt.
Payers erste Bergfahrten galten den Monti Lessini, die der damals in Verona in Garnison gewesene jugendliche Offizier häufig besuchte: Cima di Posta (sein allererster Gipfel!), Monte Pasubio, Corno d'Acquilio. Von diesen Bergen spannten sich seine drängenden Wünsche in höhere Regionen.
Zwei Jahre später, als Kommandant des glutheißen Lagunenforts Lombardo bei Chioggia, schaute der junge Leutnant sehnsuchtsvoll auf die fernen Alpen. Sein langgehegter Wunsch war, die Adamello-Presanellagruppe aufzunehmen und eine neue Karte anzufertigen. Das nötige Geld dazu hoffte er durch den Verkauf seiner Zeichnungen aus den Tiroler Bergen zu gewinnen, die er an die „Leipziger Illustrierte" eingeschickt hatte. Doch die 60 Zeichnungen waren zurückgekommen mir der bedauernden Bemerkung, „daß sich niemand um das Gebirge kümmere".
Ein Freund lieh endlich dem Enttäuschten 100 Gulden; Payer verschaffte sich die notwendigsten Ausrüstungsstücke und trat seine Urlaubsreise nach dem Adamello an. Anfangs September 1864 überschritt er als „Mappeur" die Bocca di Brenta. Unter vielen Entbehrungen und empfindlichem Fasten, das ihm sein Monatsgehalt von 36 Gulden vorschrieb, arbeitete der Unermüdliche drei Wochen in dieser Berggruppe.
Schon damals, bei dem Anblick der großen Eisfelder des Adamello, traten Bilder von Polarfahrern und die ersten Ideen für die Erreichung hoher, nördlicher Breiten in seine lebhafte Phantasie.
Anstatt Urlaub zu nehmen, machte nun der hochbegabte Offizier alljährlich im Sommer geographische Aufnahmen in den Tiroler Bergen. 1865 kam er als Oberleutnant in die Ortleralpen. Zunächst in das Suldengebiet. An Payers Seite tritt die sympathische Gestalt seines treuen Führers Johann Pinggera, der ihn fast auf allen Touren begleitete und dem Payer stets herzliche Anerkennung zollte. Pinggeras Name ist auf der 1892 vom D. u. Ö. A.-V. gewidmeten Gedenktafel in Sulden, die den Kopf des kühnen Erforschers der Ortleralpen trägt, verewigt.
Einen Monat nach der Schlacht von Custozza eilte Payer, mit dem Militärverdienstkreuz belohnt, in das Trafoier Gebiet, ein Jahr später (1867) in die südlichen Ortleralpen, die „terra incognita", wie Tuckett sie nennt. Der 21. September jenes Jahres wäre für Payer und Pinggera auf dem tollkühnen Abstieg von der Punta S. Matteo über die furchtbare Eisschneide zum Piz Tresero bald todbringend geworden. Beide stürzten 800 Fuß tief in weichem Schnee ab und blieben wie durch ein Wunder unverletzt.
Der mit heißem Eifer um Erfolg Ringende hatte in den von ihm durchforschten Alpengebieten eine wahre Titanenarbeit zu bewältigen: geometrische Messungen, Beobachtungen der Gletscher und orographischer Eigentümlichkeiten, sowie das Studium der geologischen und geognostischen Verhältnisse.
Und welche erschwerenden Hemmnisse stellten sich Payer im Ortler- wie im Adamellogebiet entgegen! Die Nomenklatur war mangelhaft, die Bezeichnung der alten Generalstabskarten Tirols und des damaligen lombardisch-venezianischen Königreiches unrichtig und lückenhaft. Überall fehlte das Verständnis für hohe Regionen. - Die gesteckten Ziele zu erreichen und zu vollem Wert zu bringen, bedurfte es eines Mannes von unbeugsamer Willenskraft und zäher Beharrlichkeit, Eigenschaften, die Payer in hohem und höchstem Maße besaß. Und so bleiben die geographischen Aufnahmen jener Berggruppen und die Zeichnungen der Detailkarten Payers bewunderungswürdiges, unsterbliches Verdienst.
Im Juli und August 1868 kam er abermals in die Ortler- und Adamelloalpen. Diesmal nicht mehr „in eigener Regie", sondern im Auftrage des Kriegsministers Kuhn, der ihm drei bergtüchtige Kaiserjäger und die nötigen Mittel mitgegeben hatte. Das Sparen und Fasten war zu Ende.
Die folgenden 5 1/3 Jahre hat Payer in den Polarregionen verbracht und mit der Entdeckung von Franz Josefs-Land und der Erreichung des 82° 5" nördlicher Breite auf Cap Fligely (12. April 1874) unvergänglichen Lorbeer errungen.
Sechs Tage nach dem feierlichen Einzug der Nordpolfahrer in Wien legte Payer seine Offizierscharge nach 16jähriger Dienstzeit nieder. Bald darauf zog er ins Ausland für eine Reihe von Jahren. Wie so manchem unserer Besten blieben auch ihm Enttäuschungen und Kränkungen nicht erspart, auch sein Familienleben riss entzwei. — Aus dem Forscher wurde ein Maler und als die Sehkraft nachließ, befolgte er den Rat Holubs, ging auf Reisen und „redete Geld", wie er's nannte. Innerhalb 18 Jahren hielt Payer 1228 Vorträge, größtenteils in Deutschland, und lächelnd erzählte er, dass die auf seinen Reisen mit der Eisenbahn zurückgelegte Strecke zehnmal den Äquator umkreist.
Am 26. Mai 1912 raubte ein Schlaganfall diesem Meister der Redekunst, diesem unübertrefflich lebendigen Erzähler die Sprache! Mit der philosophischen Geduld eines Weisen fügte sich Payer in das Unabänderliche. Das Auge des stummen Geistesheroen überschaute die Weltgeschichte von ihrem ersten Erwachen bis in die Sturmzeit der Gegenwart. Erwägend, vergleichend, zurückblickend auf die geschichtlichen Ereignisse aller Zeiten und Länder, schöpfte er mit seinem fabelhaften Gedächtnisse aus dem Meere seines eigenen reichen Wissens.
Nicht minder kostbar Waren seine geographischen Kenntnisse. Payer beherrschte die Weltkarte bis in die feinste Einzelheit, und dem gewandten Zeichner war es ein Leichtes, unter Festhaltung der Formencharakteristik Landkarten im Nu zu skizzieren. Einst ergänzten solche Skizzen seine Erzählungen und Schilderungen zur besseren Orientierung der Zuhörer; doch in letzter Zeit, als er mit gelähmter Zunge anderen das Wort überlassen mußte und sich nur zeichnend und schreibend an Gesprächen im engsten Kreise beteiligen konnte, ersetzte er so oft mit einer rasch entworfenen Skizze oder treffenden Bemerkung das gesprochene Wort.
Seit vielen Jahren verbrachte Payer einen Teil des Sommers in Veldes. Auch heuer reiste er Mitte Juli dahin. In den ersten Augusttagen erlitt er einen schweren Herzanfall, von dem er sich nur mühsam erholte. Als die schlimmste Gefahr vorüber, schien es, als wollte sich seine einstige Reckennatur nochmals zum trotzigen Leben aufrichten. Noch einmal feierte sein deutsches Herz mit den Tapferen in Polen Sieg um Sieg, und wieder horchte der scheinbar Genesende mit wachsendem Interesse auf den Kanonendonner, der über die Wocheiner Berge an sein Ohr drang: erwartungsvoll, siegeszuversichtlich, gerade so wie einst vor Custozza, als Victor Emanuel am Monte Vento stand.
Doch den Lauschenden hatte der Tod erspäht: lautlos, unbemerkt trat er zu dem, der ihm so oft furchtlos in das Knochengesicht geblickt, der ihm in tausend Gefahren getrotzt und ihn besiegt hatte. — Jetzt ergab sich der Kampfmüde, der Wehrlose. —
Eine Schar Getreuer geleitete Payers sterbliche Hülle, die von Veldes nach Wien überführt wurde, an sein Ehrengrab. Mir war es nicht beschieden, den letzten Weg mit meinem väterlich-gütigen Freund zu gehen: Ein Telegramm stockte, ich kam zu spät. Aber heute lege ich diesen letzten Gruß in den Kranz, den Payer jene winden, die ihn nie vergessen.
Amelie Malek in Reichenau.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1915, Seite 184-187

Quelle: Petermanns Mitteilungen 1915, Seite 409 f

Julius v. Payer über sich selbst.
Der Güte des allverehrten Vorstandes unserer Sektion Prag, Herrn kaiserlichen Rat Joh. Stüdl, verdanken wir die anschließend wiedergegebenen Aufzeichnungen des im Vorjahre verstorbenen alpinen Pioniers und bekannten Nordpolforschers Julius v. Payer. Die schlichten Worte des hervorragenden Mannes, dem während seiner ruhmvollen Laufbahn irdische Güter stets versagt blieben, bringen wir unverändert zum Abdruck; sie tragen den Titel: „Der Augenblick des Glücks“ *) und lauten:
Der Mensch ist ein Käfer, ein ganz elender, kleiner Käfer; und wenn er mächtig ist, sehr mächtig, dann ist er ein Käfer mit lackierten Flügeln.
1859 verließ ich die Wr.-Neustädter Militär-Akademie und wurde mit 17 Jahren Leutnant, eine Charge, die für mich den Vorteil hatte, daß ich sie 15 Jahre lang, also nie mehr, zu verlassen brauchte. 36 Gulden Monatsgage, — ein ganz kleiner Käfer!
Mehr zu erzielen gab es nur zwei Wege: das Wagniß und das Glück. Ans Wagniß ging ich selbst, das Glück kam zu mir: der Augenblick des Glücks erschien, der im Leben vielleicht nur einmal vorkommt, und der erfaßt werden Muß.
Sonst . . .!
1861 stand ich in Verona. Beim Exerzieren sah ich die Monti Lessini vor mir. Ich sah immer hinauf, die Berge machten mich verrückt.
Ich begann zu sparen, um die Berge zu durchforschen: die Monti Lessini, den Glockner, dann den Adamello (Die Adamello-Presanella-Alpen, Ergänzungsheft Nr. 17 von Petermanns geographischen Mitteilungen). Die Karten waren falsch, bessere zu machen, das war ein schönes Ziel für einen so geringen Käfer.
1864 hatte ich sogar 120 Gulden erspart, sie reichten für eine beschwerdenreiche Durchwanderung und Neuaufnahme des Adamello. Dann wollte ich von Pinzolo aus über Tione, Trient heim nach Venedig, meinen neuen Garnisonsort, denn mein Urlaub war zu Ende.
In Tione stieß ich auf Major M., der früher bei meinem Regiment gedient, und mit dem ich nie auf gutem Fuß gestanden hatte. Doch der Major, jetzt hier in Garnison, lud mich ein, sein Gast zu sein und bei ihm zu übernachten. Das war sehr schön von M.; man sieht das Glück gab sich Mühe, sich mir zu nähern.
Der Abend verlief unter Gesprächen, wie sie sich für einen Major schicken, der sich in Gesellschaft eines Leutnants befindet; — eines schüchternen Leutnant! Oh diese Schüchternheit! Sie kommt davon her, wenn man Andere zu sehr achtet! Der Major hatte jetzt einen blauen Kragen, früher einen roten, wie ich selbst. Doch im Augenblick hatte ich gar keinen Kragen, ich trug ein Jägergewand, vom Gebirge her, von den Nachtlagern im elenden Baito Mandron völlig abgehetzt. Ich sagte dem Major Adieu, früh wollte ich mit dem biederen Stellwagen nach Trient, zur Bahn. Neben Bauern saß ich schon im Wagen, da kam der Major nochmals eilig herbei, und reichte mir ein Fäßchen hinauf: „Mit Forellen für S. Excellenz den General v. Kuhn in Trient." Ich möge die Güte haben, sie abzugeben. Als ich nun das Fäßchen ergriff, da hatte ich, freilich ohne es zu wissen, das Glück in der Hand! In Cumano, halbwegs, gab ich dem Glück, d. h. den Fischen, frisches Wasser, und nachmittags stand ich in Trient vor Kuhn, den ich vorher nie gesehen. Ich fand den General auf dem Gang, er in Hemdärmeln, ich in der abgenutzten Kleidung a Ia chasseur. Ich stellte ihm die Fische vor, und mich selbst. Das Gespräch, welches nun folgte, war nicht ein solches, wie es sich für einen General schickt, der mit einem Leutnant spricht, sondern es war geradezu revolutionär!
Was machen Sie hier?
Ich reise nach Venedig und komme vom Adamellogebirge.
Was haben Sie dort gemacht?
Eine neue Karte.
Waaas? Eine neue Karte? Wo ist sie?
Ich eilte ins Hotel zurück, und eine Stunde darauf stand ich wieder vor Kuhn, mit der Karte. Der General hatte jetzt einen goldenen Kragen; ich war noch immer a la chasseur gekleidet, leider auch mit lärmenden Bergschuhen, deren Nägel in den Parkettboden eingriffen. Da gab's kein Ausgleiten!
Das haben Sie gemacht? Aus eigenen Mitteln?
Ja, Excellenz.
Sind Sie so reich?
O nein, ich lebe von meiner Gage.
Wie ist das möglich?
Ich spare, ich esse nur Brod.
Da bewundere ich Sie und bemitleide Sie. Freilich, bei uns hat man für die Wissenschaft kein Geld.
Kuhn war ein genialer, hochgebildeter General, der explosiv sein konnte wie ein Vulkan, edel und treu wie Gold, und und umwunden wie ein Kind. Er legte seine Hände auf meine Schultern und rief:
„Wäre ich Kriegsminister, dann hätten Sie Ihre Arbeiten auf Kosten des Staates fortzusetzen und nicht mehr zu darben.";
Kurz darauf war Kuhn Kriegsminister!
Er rief mich vom Regimente fort, gab mir 3 Tyrolerjäger, 1000 Gulden und einen Theodolit. Ich ging nach dem Ortler und nach dem Adamello zurück und machte eine neue Karte, eine bessere als früher.
Mit demselben Theodolit habe ich nachher NO-Grönland aufgenommen und das Franz Josefs-Land. Er blieb auf dem Tegetthoff zurück und versank mit dem Schiff.
Kuhn aber blieb mein Freund und Gönner bis zu seinem Tode. Ihm habe ich es zu danken, daß ich mich von den Alpen weg zu größeren Zielen wenden konnte, zur Polarforschung.
Jetzt aber hat jeder Sessel meiner Wohnung 3 große silbergestickte Forellen. Sie erinnern mich täglich an den General Kuhn und an den Augenblick des Glücks. Denn ohne diese Forellen würde ich heute noch exerzieren, wie damals in Verona, angesichts der Monti Lessini, ein armer kleiner Käfer!
Wien, März 1909. Julius v. Payer.
*) Die Handschrift dieses interessanten Selbstbekenntnisses Julius v. Payers ist als Widmung des Herrn kaiserlichen Rates Joh. Stüdl der Handschriftensammlung unserer Alpen-Vereinsbücherei übermittelt worden. Eine Abschrift befindet sich bekanntlich nebst verschiedenen Payer-Andenken auf der Payerhütte in der Ortlergruppe.
Die Schriftleitung.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1916, Seite 13-14

Quelle: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft München 1916, Seite 282

Julius Payer zum Gedächtnis
(Zur 10. Wiederkehr seines Todestages)
In Veldes, zwischen der bleichen Felsburg der Steiner Alpen und den südöstlichen Ausläufern der Julischen Alpen ist am 29. August 1915 mitten im Weltkrieg ein Mann gestorben, der eine der leuchtendsten Gestalten der alpinen Heldenschar war.
Lehner sagt darüber in seinem Werke, das Julius von Payer als Alpenforscher geweiht ist: „Es braucht kaum besonders betont werden, daß dieses Ereignis in einer Zeit, die von Schlacht und Schlachtenlärm widerhallte, die nur dem größten aller Kriege lebte und die neue Geschichte Europas mit Blut und Eisen schrieb, nicht mehr als eine kurze Verachtung in breiteren alpinen Kreisen finden konnte und so gut wie spurlos an den fast ausschließlich unter den Fahnen stehenden jüngeren Alpinisten vorübergehen mußte, im allgemeinen überhaupt nicht jenem Maß von Aufmerksamkeit, das ihm in Friedenszeiten sicher zugekommen wäre, zu begegnen imstande war. Und doch ziemt es niemand mehr als den Alpinisten, denen der alten Garde und den jungen Stürmern, Julius von Payers Andenken auch in der Zukunft hochzuhalten und die Erinnerung an sein alpines Wirken als kostbares Erbe den kommenden Zeiten zu erhalten. Hat der unerbittliche Tod doch mit Payers Hingang das Leben eines großen Forschers und Künstlers beschlossen, der in allem, was er ergriff und begann, Vollendetes leistete, ist mit Payers Hinscheiden doch ein an Unternehmen und Erfolgen ungewöhnlich reiches Leben erloschen. Als Patriarch — über 73 Jahre alt — ist er von uns gegangen. Das Gedächtnis an diesen Mann lebendiger zu gestalten, sei nun die 10. Wiederkehr seines Todestages genützt."
Am 1. September 1841 in Teplitz-Schönau geboren, kam Jul. von Payer als 10-jähriger Bub aus der Hamburger Unterrealschule in das k. k. Kadetteninstitut Lobzowa in Galizien, das er 1857 als Absolvent verließ, um in die Wiener-Neustädter k. k. Militärakademie überzutreten. Im Jahre 1859 wurde er von dort als Unterleutnant zum 30. Infanterie-Regiment ausgemustert. Im Kriege gegen Italien 1866 zeichnete er sich in der Schlacht von Custozza aus — er bekam für die Eroberung von zwei italienischen Geschützen das Militärverdienstkreuz — und kam hierauf in das Topographische Bureau des Generalstabes zu Wien. Diese militärische Grundlage hatte ihm die körperlichen wie geistigen Fähigkeiten gegeben, die Julius von Payer später zu seinen Erfolgen als Alpinist gelangen ließen und diese wieder ermöglichten seinen Triumph als Polarforscher und alles zusammen machte ihn zum Künstler, zum Maler, so daß Lehner im anfangszitierten Werk mit Recht sagen konnte: „Zu entscheiden, auf welchem dieser drei, in ihrem Wesen so verschiedenen Gebiete, Julius Payer größeres geleistet hat, bildet eine Streitfrage, die vielleicht jeder, der sie zu lösen unternähme, anders beantworten würde. Sicher und unumstößlich ist nur das eine: daß der Weg zum eisumspannten Franz-Josefs-Land über die Gletscher und Berggipfel der Adamello- und Ortlergruppe führte und daß erst unter der überreichen Fülle der auf seinen Nordlandfahrten gesammelten hohen Eindrücke das künstlerisch gestaltende Element in Payer zur vollen Auslösung kam."
Als Alpinist war Julius von Payer ein Zeitgenosse Grohmanns und Franz Senns, die nicht wie ihre Vorgänger, die Bahnbrecher wie Anton von Ruthner, oder J. A. Specht und J. J. Weilenmann hier und dort sie anlockende Ziele angingen, sondern der Erschließung bestimmter Berggruppen sich widmeten.
Seine ersten Unternehmen waren 1862 die von Verona, der damaligen Garnison Payers, günstig zu besuchenden Lessinischen Berge und der Monte Baldo. Nach Besteigungen des Großglockners und Großvenedigers zog es ihn 1863 - 64 wieder in die zuerst geschauten Gebirge Südwesttirols, seiner ersten und bleibenden Liebe. Und Payer muß der Erschließer der Adamellogruppe genannt werden, unbeschadet einzelner Gipfelerfolge anderer Bergsteiger, wie etwa Freßfields Persanellaeroberung, denn er war nicht nur Bergsteiger, sondern dort auch zugleich geographisch und kartographisch als Forscher und Zeichner tätig. Seine Erfolge — es seien nur die Erstbesteigungen des Adamello, Corno Bianco, der Presanella auf neuem Weg, des Corno Lagoscuro, der Lobbia alta, der Cima Cercen, des Monte Gabbiol, die Zweitbesteigung des Crozzon di Lares und des Care alto erwähnt — sind um so höher einzuschätzen, da er sie trotz Behinderungen mannigfacher Art, wie ungeeignete Begleiter, dürftige Ausrüstung, gesundheitliche Störung, Tatkraft wendete sich Payer 1865 bis einschließlich 1868 der Ortlergruppe zu, und holte sich dort neben Tuckett, Freßfield und
Edm. von Mojsisowics wieder als Bergsteiger und Geograph glänzende Erfolge. Bei 60 Unternehmungen waren 50 Gipfel bestiegen worden, darunter 22 Erstersteigungen, sodaß er selbst mit Fug und Recht behaupten konnte: „Kein Schneefeld, keine Schuttrinne in dem weiten Umkreis vom Montoz bis zum Stilfserjoch, die wir nicht begangen hätten!"
In Johann Pinggera wohl einen vollwertigen einheimischen Begleiter gefunden, blieben sonst alle Entbehrungen und Unzulänglichkeiten an Zeit, Mittel und Ausrüstung bestehen, und lassen die errungenen Erfolge Payers noch bewundernswerter erscheinen.
Daß bei solchen Unternehmungen auch gefährliche Abenteuer zu bestehen waren, ist selbstverständlich, umsomehr, wo ja die Technik des Bergsteigens damals noch in den Kinderschuhen steckte. Das am berühmtesten gewordene Erlebnis war Payers und Pinggeras Absturz vom Kamm zum Piz Tresero, wo beide mit einer Nächte auf den Fornogletscher über 200 Meter hoch hinabsausten und wunderbarer Weise unverletzt geblieben, hierauf dennoch die Besteigung des Tresero erfolgreich beendeten. Aus dem technisch-bergsteigerischen Mangel jener Zeit erklärt sich auch so mancher, heute belächelte Verstoß gegen die eigene Sicherheit, wie leichtsinniges Abfahren, unangeseiltes Begehen von Gletschern und Ähnliches.
Das Bergsteigen war Payer auch nur Mittel zum Zweck, nämlich seinen naturwissenschaftlichen Beobachtungen und geographischen Forschungen zu dienen, wie ja damals alle Alpinistik der Wissenschaft sich unterordnet hat. Trotzdem gab er allen seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die hauptsächlich in „Petermanns Geographischen Mitteilungen" erschienen waren, eine juristische Schilderung als Abschluß. Sie sind genußvoll zu lesen, da sie eben so plastisch wie unterhaltsam, empfindsam und launig geschrieben sind.
Wer sich über Payers schriftstellerische, ja dichterische Fähigkeiten klar werden will, der nehme Wilhelm Lehners Werk: „Julius Payers Bergfahrten"; zur Hand; es wird ihn sicherlich fesseln und entzücken.
Im Spätherbst 1868 nach Wien zurückgekehrt, erwartete Payer die Einladung Petermanns zur Nordpolfahrt, die er voll Begeisterung annahm.
Dreimal zog er nun in die Arktis, mit der 2. deutschen Nordpolfahrt 1869/70 nach der Ostküste Grönlands, auf einer Schlittenreise bis zum 77. Grad vordringend, wobei der Kaiser-Franz- Josefs-Fjord, entdeckt wurde; 1871 zu einer Erkundungsfahrt bis zum 79 Grad: 1872 - 1874 mit dem deutschen Schiffssleutnant Karl Weyprecht anläßlich der vom Grafen Wilezek ausgerüsteten Österr. Nordpolfahrt, die mit Hilfe des Golfstromes eine Treibfahrt über den Nordpol zur Behringstraße erhoffte, aber bei Nowaja-Semlja ins Eis kam und gegen Norden abgetrieben wurde. Es wurden die Tafeln des Franz-Josefs-Lcmdes — „ein strahlendes Alpenland" nannte sie Payer — entdeckt, und der nördlichste Punkt auf 82 Grad 5 Min. nördl. Breite erreicht, den Payer in dankbarer Erinnerung nachdem damaligen Direktor des Österr. K. K. Militärgeographischen Instituts „Kap Fligely" benannte.
Nachdem das Expeditionsschiff „Tegelthoff"; durch Eispressung zu Grunde gegangen, wurde der Rückzug mit Schlitten und Boot nach Nowaja-Semlja vollzogen, von wo die Teilnehmer der Expedition über Lappland in die Heimat zurückkehrten. Payer verfaßte ein eigenes Werk über diese Unternehmung, die ihm außer vielseitigen Ehrungen und Auszeichnungen 1876 auch den Ritterstand brachte.
Unmittelbar nach der Heimkehr sich als Offizier verabschiedend, widmete sich der 35jährige der Malerei, studierte nacheinander ir Frankfurt a. M., Salzburg, München und Paris.
Seine Hauptwerke sind die Polarbilder: „Die Bai des Todes* (1883), „Franklins Tod"; und „Nie zurück"; (1892).
Von Jugend auf stark kurzsichtig erblindete Payer 1884 einseitig, und drei Jahre vor seinem Tode beraubte ihn ein Schlaganfall der Sprache, ihn, der ein „Meister der Redekunst" war. — Doch alles Mißgeschick ertrug der wackere Mann mit heldenhafter Ergebenheit und blieb der Hochgesinnte, der er von jeher war.
Julius von Payer wird uns stets als ein alpiner Hero im Gedächtnis leben. Sein Idealismus, der mit Entbehrungen und Enttäuschungen hart ringen mußte, um dennoch siegreich das selbstgesteckte Ziel zu erreichen, ist ein schönes Vorbild für unseren alpinen Nachwuchs. Mögen diese Erinnerungszeilen beitragen, daß der Geist Julius von Payers lebendig bleibe, indem man sich mit seiner Persönlichkeit und seinen Werken vertraut macht, dann wird seine heute in italienischen Händen befindliche Gedenktafel in Sulden, die sein Bildnis trägt, trotzdem unser sein, da er uns fortwirkt wie eine Segnung, die sich befruchtend erfüllt. Und das wäre der schönste Erfolg des Lebens und Wirkens Julius von Payers, würdig seiner und uns.
Hanns Barth, Wien
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1925, Seite 200-201

Quelle: Der Bergsteiger 1939/40, Seite 317 ff
Quelle: Petermanns Mitteilungen 1942, Seite 456
Quelle: Petermanns Mitteilungen 1943, Seite 275 f
Quelle: Der Bergsteiger 1954/55, Seite 433 f
Quelle: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft Wien, 1965, Seite 71 ff
Quelle: Petermanns Mitteilungen 1968, Seite 175 ff
Quelle: ÖAV Mitteilungen 1985, Heft 5, Seite 15 (siehe Anhang)

Der junge deutsch-böhmische Offizier Julius Payer aus Teplitz-Schönau entwickelte seine Bergbesessenheit während eines Aufenthaltes im Trentino und bestieg dort wenig bestiegene Berge. Vom österreichischen Militär finanziert erforschte Payer von 1865 bis 1868 die Ortlergruppe. Er bestieg fast alle namhafte Gipfel, vermaß ihre Höhe und erstellte Karten. Begleitet wurde er zumeist von Johann Pinggera, seinem über Jahre treuen Bergführer vom Oberthurnhof in Außensulden. Sie haben über 50 Gipfel in den Ortleralpen bestiegen-von den schrofigen Kristallgipfeln und die Vertainspitze und Angelus im Nordosten über die wilden, von Eisflanken und Eisbrüchen umsäumten Kämme im Westen (Trafoier Eiswand) bis zu den formschönen Gletscherbergen um Cevedale und Punta San Matteo im Süden. Julius von Payer wurde bei der Kartografierung des Ortlergebietes von Johann Pinggera unterstützte. Sie bestiegen 1865 innerhalb von vier Tagen den Ortler über "Normalweg", die Königspitze und den Cevedale.
Payer gelangen 30 Erstbesteigungen Ortler-und Glocknergebiet, 50 Besteigungen im Ortlergebiet und 30 Erstbegehungen im Adamello-Presanellagebiet.

1862 Best.Monte Baldo bei Verona,2218m, (Gardaseeberge)
1863 Best.Großglockner,3798m, (Glockner Gruppe,Hohe Tauern)
1863 1.Beg.Kleinglockner-Südhang,3783m, (Glockner Gruppe,Hohe Tauern)
1863 1.Best.Ahrnerkopf,3051m, (Venedigergruppe,Hohe Tauern)
1864 2.Best.Adamello über Mandrongletscher,3554m, (Adamellogruppe,Dolomiten)
1864 1.Best.Corno Bianco,3434m, (Adamellogruppe,Dolomiten)
1865 2.Best.Hintere Schöntaufspitze,3324m, (Ortlergruppe)
1865 1.Best.Suldenspitze über Südgrat,3376m, (Ortlergruppe)
1865 1.Best.Ortler über die Tabarettawände,3902m, (Ortlergruppe)
1865 1.Beg.Monte Cevedale-Nordwestflanke-Nordostgrat,30°,3778m, (Ortlergebiet)
1865 1.Best.Vertainspitze über Südwestgrat,III,3544m, (Ortlergruppe)
1865 1.Best.Hohe Angelusspitze über Südwestgrat,I,3536m, (Laasergruppe,Ortlergruppe)
1866 1.Best.Tuckettspitze über Nordgrat,3462m, (Ortlergruppe)
1866 1.Best.Schneeglocke über Westgrat,3410m, (Ortlergruppe)
1866 1.Best.Vordere Madatschspitze,3184m,und Mittlere Madatschspitze,3314m, (Ortlergruppe)
1866 1.Best.Monte Zebru-Nordwestgipfel über Nordwestflanke,3735 m, (Ortlergebiet)
1866 1.Best.Geisterspitze über Westflanke,3465m, (Ortlergruppe)
1866 1.Best.Hochleitenspitze,2877m, (Villgratner Berge)
1866 1.Best.Großer Eiskogel,3549m, (Ortlergruppe)
1866 1.Best.Geisterspitze von Westen,3465m, (Ortleralpen)
1866 1.Best.Große Naglerspitze von Ostseite,3272m, (Ortlergruppe)
1866 1.Beg.Nördliche Naglerspitze,3259m, (Ortlergruppe)
1866 1.Beg.Südliche Naglerspitze,3272m, (Ortlergruppe)
1866 1.Beg.Großer Eiskogel-Ostnordostgrat,3549m, (Ortlergruppe)
1866 1.Beg.Großer Eiskogel-Nordwestgrat,3549m, (Ortleralpen)
1867 1.Best.Punta Cadini über Nordostgrat u.Westgrat,3524m, (Ortleralpen)
1867 1.Best.Punta Taviela über Südostgrat,3612m, (Ortleralpen)
1867 1.Best.Monte Giumella von Nordosten,3594m, (Südliche Ortleralpen)
1867 1.Beg.Pizzo Tresero über Fornogletscher von der Brancahütte,3602m, (Ortleralpen)
1867 1.Best.Monte Vioz über Ostflanke von der Viozhütte,3644m, (Ortleralpen)
1867 1.Best.Cima Vioz,2504m, (Südliche Ortleralpen)
1867 2.Best.u.1.Beg.Punta San Matteo (Palon della Mare) über Nordwestgrat von Pejothale,
3678m, (Südliche Ortleralpen)
1867 1.Direkter Gratübergang Punta San Matteo,3678m, zum Pizzo Tresero,3602m,
(Südliche Ortleralpen)
1867 1.Beg.Punta San Matteo,3678m,-Gratübergang vom Monte Giumella,3594m, (Ortleralpen)
1867 1.Best.Cima Vallon,2892m, (Ortleralpen)
1867 1.Best.Veneziaspitze-Hauptgipfel über Westflanke,3386m, (Ortleralpen)
1867 1.Best.Cima Frattasecca,2736m, (Ortleralpen)
1867 1.Best.Cima Ganani über Westflanke,2889m, (Ortleralpen)
1867 1.Tourist.Best.Cima Grande über Nordwestgrat,2901m (Ortleralpen)
1867 1.Best.Köllkuppe (Cima Marmotta) über Westgrat (richtig Westnordwestgrat,3327m,u.
1.Beg.Gratübergang zum Cima Venezia Hauptgipfel,3386m, (Ortleralpen)
1867 1.Beg.Hintere Rotspitze (Cima Rossa di Saent)-Westgrat,3347m, (Ortleralpen)
1867 1.Beg.Monte Pasquale-Ostgrat,3559m, (Ortleralpen)
1867 1.Beg.Rocca S. Caterina-Südostgrat bzw. Ostflanke,3529m, (Ortleralpen)
1867 1.Beg.Rocca S. Caterina-Südwestgrat und Südgrat,3529m (Ortleralpen)
1867 1.Beg.Monte Giumella,3594m -Übergang zur Punta San Matteo,3678m,
(Südliche Ortleralpen)
1868 1.Best.Monte Gabbiolo,3462m, (Presanellagruppe)
1868 1.Best.Zufrittspitze über das Zufrittjoch und den Südgrat,3439m, (Ortleralpen)
1868 1.Beg.Südliche Zufallspitze-Südostgrat,30°,3757m, (Ortleralpen)
1868 1.Beg.Mittlere Madatschspitze-Westflanke und Südgrat,3314m, (Ortleralpen)
1868 1.Best.Vordere Madatschspitze,3184m,Mittlere Madatschspitze,3314m,
Hintere Madatschspitze,3432m, (Ortleralpen)
1868 1.Best.Hintere Nonnenspitze-Ostgipfel,3273m, (Ortleralpen)
1868 1.Beg.Hintere Nonnenspitze-Westgipfel,3254m, mit Gratübergang von der Lorchenspitze,
3343m, (Ortleralpen)
1868 1.Best.Lorchenspitze über Südostgrat,3343m, (Ortleralpen)
1868 1.Best.Lyfispitze über Westgrat u.Süostgrat,3352m, (Ortleralpen)
1868 1.Beg.Hohe Angelusspitze, (Große Angelusspitze) über Südwestgrat,3521m, (Ortleralpen)
1868 1.Best.Vordere Rotspitze über Westflanke,3033m, (Ortleralpen)
1868 1.Best.Sällentspitze (Cima di Saent) über Westflanke,3215m, (Ortleralpen)
1868 1.Beg.Sällentspitze,3215m,-Gratübergang zur Hinteren Nonnenspitze,3273m, (Ortleralpen)
1868 1.Beg.Äußere Pederspitze-Südostgrat,3406m, (Ortleralpen)
1868 1.Beg.Innere Pederspitze-Südostgrat,3312m, (Ortleralpen)
1868 1.Beg.Mittlere Pederspitze-Südrücken,3462m, (Ortleralpen)
1868 1.Beg.Gratübergang Mittlere Pederspitze,3462m,-Äußere Pederspitze,3406m, (Ortleralpen)
1868 1.Beg.Mittlere Pederspitze-Gratübergang von der Schildspitze (Westgrat der
Mittleren Pederspitze ab der weiten Gratsenke) (Ortleralpen)
1868 1.Beg.Südliche Zufallspitze (Cima Cevedale II)-Ostgrat,30°,3757m, (Ortleralpen)
1868 1.Beg.Monte Cevedale-Ostgrat,3769m, mit Überschreitung der Südlichen Zufallspitze,
(Ortleralpen)
1868 1.Beg.Monte Cevedale-Südostgrat-Nordostgrat,3769m, (Ortleralpen)
1868 1.Beg.Hintere Eggenspitze-Westwand,3443m, (Ortleralpen)
1869 Best.zahlreicher Gipfel in Spitzbergen
1869/70 Teilnehmer 2.Deutsche Nordpolarexpedition Ostküste Grönland
1870 1.Best.Payer Tinde,1793m, (Grönland)
1871 Teilnehmer Expedition Spitzbergen
1872-1874 Expeditionsleiter Polarexpedition „Kaiser Franz-Joseph-Land“, (Nordpolarmeer)
1886 1.Best.Zufrittspitze über Südwest- und Südgrat,3438m, (Ortlergruppe)
1897 1.Best.Cima Lagolungo über Nordwestgrat,3162m, (Ortlergruppe)
Best.Königspitze,3851m, (Ortleralpen)
Best.Lobbia,3196m, (Ortleralpen)

Gerd Schauer,Isny im Allgäu



Geboren am:
01.09.1841
Gestorben am:
29.08.1915
application/pdf Payer Julius - Bergsteiger 1984-9.pdf
application/pdf Julius_von_Payer_-_AV-Mitteilungen_1985-5.pdf

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