Nordwestwand - "Variante Hochschüttband"
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Routen Details:
Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1896, Seite 265;
Hochthor direct über die Nordwand.
Eine der bedeutendsten Felstouren überhaupt und neben der Durchkletterung der Südwand des Dachsteinmassivs wohl die bedeutsamste einschlägige Leistung in den Nördlichen Kalkalpen haben am 11. October die Herren Th. Keidel, Th. Maischberger, Dr. H. Pfannl aus Wien und Dr. V. Wessely aus Linz ausgeführt, indem es ihnen gelang, das Hochthor, den höchsten Gipfel der Ennsthaler Alpen, über dessen furchtbare, abschreckende Nordwand zu erklettern. In der „Erschliessung der Ostalpen" hatte der Bearbeiter des betreffenden Gebietes unter Anderem gesagt: „So wäre denn der stolze Culminationspunkt des mächtigen Hochthorgrates von allen ,möglichen' Seiten erklommen worden — ausgenommen sind nur noch die furchtbaren Steilwände mit denen der Gipfel direct in das Heindlkar abstürzt. Ob nicht auch da noch ein Durchkommen erzwungen wird? Wer weiss das zu sagen?" — Die Antwort darauf giebt Herr Dr. H. Pfannl in den nachfolgenden Zeilen: „Ich erlaube mir Ihre Frage in der ,Erschliessung der Ostalpen' (Bd. I, S. 376) zu beantworten, indem ich das Nachfolgende berichte: Am 11. October haben die Herren Theodor Keidel, Thomas Maischberger, Dr. Victor Wessely und ich das Hochthor direct ,über die furchtbaren Steilwände von Norden erklettert. Wir folgten von Gstatterboden (ab 6 U. früh) dem markierten Wege zum Peternpfade, verliessen denselben dort, wo er nach Überschreitung des ersten von den Wänden herabstreichenden Querrückens die erste Schuttrinne übersetzt, und gingen in dieser Rinne hart neben dem erwähnten Querrücken bis unmittelbar zur Wand hinan. Hoch oben bricht die von der Scharte zwischen den beiden Hochthorgipfeln herabkommende Schlucht in senkrechten Wänden ab; wir hofften ihr unteres Ende mit Hilfe eines schwarzen, knapp darunter ansetzenden, steil nach rechts gegen einen gelben Wandabbruch herabziehenden Kamines zu erreichen. Die gelbe Wand glaubten wir von links her umgehen zu können. Darunter ist eine breite Zone weissgescheuerter Platten eingelagert, deren linke Seite (Alles von unten gesehen) höher in die Wand hinaufzieht; diesen noch sehr hoch oben befindlichen Plattengürtel wollten wir mit Hilfe eines Plattenschusses erreichen, der von unserem Standpunkte aus wie ein Kegel sich hinanzog und mit seiner Spitze nahezu die obere Plattenzone erreichte. Indem wir — uns stets ein wenig links haltend — diesen kegelförmigen Plattenpanzer erstiegen, wo es eben am besten ging, kamen wir der oberen Plattenregion sehr nahe und erreichten nach etwa 20 m. schwieriger Kletterei und einem Quergange nach rechts ihre tiefste Stelle, einen rinnenartigen Einriss, der offenbar durch die Wirkung des aus der hoch über ihr abbrechenden Hauptschlucht kommenden Wassers entstanden ist; in diesem Risse durchkletterten wir — seine Steilabbrüche umgehend — die Plattenzone bis nahe an die oberen Steilwände und querten hart unter diesen nach links auf die höheren Theile des Plattengürtels. Von hier gelang es uns, mittelst schwieriger Wandkletterei (brüchige Felsen) die Bänder ober der gelben Wand und auf diesen nach rechts querend, das untere Ende des erwähnten Kamines zu erreichen. Derselbe war aber ungangbar: er ist mehr als klafter
weit, ganz glatt, wasserüberronnen und nach unten offen. Wir mussten also die circa 50 m. hohe, sehr steile und völlig plattige Wand links vom Kamine bezwingen, wenn wir nicht gleich umkehren wollten. Mit grösster Vorsicht kletterten wir hinauf bis hart unter den Abbruch der Schlucht, dann kam ein schwieriger Quergang um die Felskante nach links, und das Schwierigste war überwunden. Es war 12 U. 45; um 1 U. 45 hatte auch die zweite Partie diese sehr böse Wand hinter sich.
— Eine inzwischen vorgenommene kurze Recognoscierung hatte uns über den schliesslichen Erfolg völlig beruhigt; ich war nämlich um 1 Uhr, immer scharf nach links kletternd, auf die ,Hochschütt' gelangt. — Als wir Alle oberhalb der Wand beisammen waren, verfolgten wir die Schlucht weiter — den eben gefundenen leichten Weg betrachteten wir nur als Sicherung für den Fall, als wir direct nicht durchkommen sollten. So bald als möglich trennten wir uns des starken Steinfalles halber, der bei dem hier sehr mürben Gesteine unvermeidlich war; Maischberger und Keidel kletterten nach rechts in die Felsen des Hauptgipfels hinaus, während Wessely und ich, die Schlucht bis zur Scharte zwischen den zwei Gipfeln verfolgend, die Spitze um 3 U. erreichten. Unsere Kameraden, welche grössere Schwierigkeiten getroffen hatten, erreichten den Grat knapp rechts (westlich) vom Gipfel um 3 Uhr 30. — Die Tour gewährt in unmittelbarer Nähe den Anblick der grossartigsten Felsscenerien, die ich kenne; charakteristisch sind die kolossalen, glatten Plattenschüsse und die Wand unter dem Abbruche der Gipfelschlucht. Die Tour ist weitaus die schwierigste im Enusthale. Die Abstürze sind wirklich furchtbar."
Dr. Pfannl.
Ein zweiter Theilnehmer an dieser Tour giebt seine Meinung dahin ab, dass dieselbe nur bei ganz günstiger Witterung und trockenen Felsen durchführbar sei; ein während der Tour eintretendes Regenwetter müsste die Theilnehmer in eine äusserst gefahrvolle Lage bringen. Derselbe Herr bezeichnet auch die Steinfallgefahr als eine ganz bedeutende. Steine, welche von zufällig auf dem Gipfel befindlichen Besuchern unabsichtlich und ahnungslos zum Falle gebracht werden, müssten einer Partie, welche gerade in der Nordwand des Hochthors klettern würde, verderblich werden. Viele Kletterstellen bezeichnet der mehrfach Erwähnte als im Abstiege aller Wahrscheinlichkeit nach unpassierbar. Aus allem dem geht wohl hervor, dass diese Tour nicht nur zu den schwierigsten, sondern auch gefahrvollsten gehört, vor deren Wiederholung ernstlich gewarnt werden muss.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1896, Seite 250-251
Datum erste Besteigung:
11.10.1896
Gipfel:
Hochtor - Südwest (Haupt) gipfel
Erste(r) Besteiger(in):
Pfannl Heinrich
Wessely Viktor