Ostwand - "Klassische Route"
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Routen Details:
Zwei neue Bergfahrten in den Dolomiten.
Von A. G. S. Raynor in London und J. S. Phillimore in Oxford.
Rosengartenspitze (2998 m.) über die Ostwand.
Im schönen Vajolettthale giebt es wohl kein grossartigeres Schaustück als die gewaltige Ostwand des „Catenaccio" (Rosengartenspitze). Am 27. August 1896 verliessen wir, von denselben Führern begleitet und mit etwa 120 m. Seil ausgerüstet, Perra di Fassa en route nach Sojal. Nach einer in der Heuhütte nicht zu bequem zugebrachten Nacht brachen wir um 5 Uhr 30 morgens auf, um die Ostwand der Rosengartenspitze in Angriff zu nehmen. Der Einstieg erfolgte um 6 Uhr 50, und zwar an dem am weitesten vorspringenden Pfeiler am Fusse der Wand.
Zunächst waren wassergeschwärzte Platten zu erklettern, die sich anfangs leicht anliessen, bald aber nass und steil und sehr schwierig wurden. Wie von Sojal aus gesehen, ist die Wand durch eine enge, senkrechte Linie schwarzen, wasserüberronnenen Gesteins geteilt, welche Linie von einem halbrunden, hoch oben liegenden Kessel ausgeht, aus dem sich jene Spitze emporhebt, die von dieser Seite für den wahren Gipfel angesehen wird. Unsere erste Idee war, diese Linie gerade unter dem Kessel horizontal nach rechts zu überschreiten: eventuell aber blieb unsere Route stets links davon. Nach den Platten folgte ein leichter, seichter Kamin mit weissen, glatten Felsen, der sich bald (der im Allgemeinen rechtsführenden Aufwärtsrichtung nach) verengte und auf eine vorspringende Steinschicht öffnete (8 Uhr 20). Von diesem Punkt ging es längs eines Bandes, das mit hohen Blöcken bedeckt war, immer mehr exponiert nach rechts. Von diesem Bande, und auch von viel höher liegenden Stellen, konnte man ganz leicht einen Stein ganz frei auf das Geröll hinunterwerfen, ohne die untere Wand zu treffen. Der Weiterweg bot zahlreiche Hindernisse verschiedener Art, und im Allgemeinen war die Wandkletterei von zu veränderlichem Charakter, als dass man sie speciell als Kamin-, Band- oder Plattenkletterei hätte classificieren können. Gerade vor 9 Uhr machten wir eine 25 Min. lange Rast, die einzige wirkliche Rast, obgleich die Tour zu wiederholten, langen Halten nötigte. Weiter ging es einen Kamin hinauf und dann über eine höchst exponierte Traversierstelle (immer ein wenig nach rechts). Einige Minuten vor 10 Uhr erreichten wir einen Punkt auf der oberwähnten Orientierungslinie. Nun hielten wir uns an die linke Seite dieses centralen Risses, da wir es vorzogen, in diesem zu klettern, als noch länger ununterbrochen an der Wand zu bleiben; endlich wich die bisher gemischte Kletterarbeit definitiv ausschliesslicher Kaminkletterei. Ein deutliches Wegzeichen auf dieser linken Wand bietet eine grosse, auffallend gefärbte Platte, die wir scherzweise „Wiener Schnitzel" nannten. Von unten gesehen zeigt sich dieser gelbe Fels wie eine lange, gelbe Schulter unmittelbar links vom oberen Ende des schwarzen Risses. Als wir in einen kurzen, doch ziemlich schwierigen Kamin eintraten, stand der Fuss des „Schnitzels" links ungefähr 35 m. über uns. Durch diesen Kamin und über eine kurze Strecke furchtbar exponierter Wand gelangten wir endlich unmittelbar darunter und zugleich zur grössten Schwierigkeit der ganzen Tour, nämlich zu einem Kamin, der, wie Dimai erklärte, in Bezug von Länge und Beschwerlichkeit ohne Gleichen in seiner Erfahrung ist. Dieser Kamin führt hinter dem „Schnitzel" hinauf, d. h. zwischen den gelben Felsen und der Wand. Auf Grund der damaligen Beobachtungen und zufolge von Studien vom Wege aus, der zum Vajolettpass führt (von dem aus der Kamin genau zu sehen ist), können wir behaupten, dass er wohl 120 m. lang sein muss. Nach den ersten 8-10 m. gewährt eine Unterbrechung rechts eine Haltstelle; sonst gibt es für die ganze Länge keine Stelle, wo mehr als drei Personen zu gleicher Zeit bleiben können, und auch das nur mit Mühe. Der Kamin ist fast senkrecht, selten, auch im unteren Theile, 1 m. tief und von einer fast ganz regelmässigen Weite (etwa dritthalb Fuss). 20 m. oberhalb des erwähnten Rastpunktes geht er hinter das „Schnitzel" hinein, folgt dessen ganzer Länge und kommt endlich wieder auf dem Rande des oberen Kessels hervor. Erst bei der letzten Schulter hört die Arbeit auf, eine höchst ermüdende Anstrengung zu sein, die meistens den Rücken und die Kniee in Anspruch nimmt. Oft kann man sich auch nur seitwärts emporschieben. Glücklicherweise ist das Gestein durchaus fest. Wir benötigten für die ganze Länge des Kamins von 10 Uhr 45 - 1 Uhr 15. Dann traten wir erfreut auf den erwähnten oberen Kessel hinaus, weil unser Erfolg schon gesichert war. Auch waren wir nun von der Sorge erlöst, den Abstieg eventuell auf demselben Wege machen zu müssen. Ein einziges Steinmannl wurde auf den geröllbedeckten Platten des Kessels errichtet; eine mittelmässige, halbstündige Kletterei brachte uns um 1 Uhr 45 auf die Spitze. — Um 2 Uhr 40 verliessen wir den Gipfel, das Gartl wurde um 3 Uhr 25, Sojal um 4 Uhr 28 erreicht; um 5 Uhr 20 wieder aufbrechend, kamen wir um 6 Uhr 12 in Perra an. Ein Mann aus Sojal hatte unsere Pickel und Stiefel zum Gartl hinaufgetragen. Um die von uns gebrauchte Zeit zu erklären, ist es nötig beizufügen, dass die Schwierigkeiten grosse sind, und dass die Schnelligkeit des Gehens durch verschiedene kleine Zwischenfälle etwas vermindert war, deren ausführlicher zu erwähnen nicht der Mühe wert ist. Die Tour ist frei von objectiven Gefahren, auch vor Steinfällen sicher, und selbst in den Kaminen haben wir die losen Steine für Nachfolger sehr reduciert. Das Gestein ist fast ausnahmslos gesund und merkwürdig wegen der Fülle von Blumen gerade in der Nähe des Gipfels. - In Bezug auf die beschwerliche, lange und exponierte Wandkletterei steht die Nordseite der Kleinen Zinne gewiss zurück, und auch der Schmittkamin weist wohl derartige Schwierigkeiten nicht auf. — Neues Lob brauchen wir dem unvergleichbaren Antonio nicht zu spenden; und der brave Luigi rechtfertigte völlig unsere Hoffnungen und Dimai's Empfehlungen.
Quelle Mitteilungen des DÖAV 1897, Seite 242-243
Rosengartenspitze (2998m.).
Erste.Ersteigung über die Südwestwand durch G. S. Phillimore-Oxford und A. G. S. Raynor-London mit den Führern Michael Bettega und Giuseppe Zechini am 28. August 1897 (Riv. mens. 1898, S. 255).
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1899, Seite 244
Datum erste Besteigung:
28.08.1896
Gipfel:
Rosengartenspitze (Catinaccio)
Erste(r) Besteiger(in):
Dimai Antonio
Philimore J.S.
Raynor Arthur Sanders Guy
Rizzi Luigi