Nordnordostwand und Nordkante - "Pichl"

(Bearbeiten)
Routen Details:
Die erste Ersteigung des Langkofels (3178 m) über die Nordkante,
Von Oberbergrat Ing. Eduard Pichl
Es war ein weiter, umständlicher und mühsamer Weg von Krasnoyarsk in Mittelsibirien bis zum Einstieg in die Nordwand des Langkofels.
Umständlich wie alles in Rußland. Auch ich bin dort umständlich geworden und so möge es verziehen werden, wenn ich weit aushole.
Acht Werft von der Stadt Krasnoyarsk entfernt, umschloß eine hohe Planke das „Bojenni gorodok", unser Kriegsgefangenenlager, worin wir armen „Pleni" monate- und jahrelang der Erlösung und Heimkehr harrten. Sahen wir in südlicher Richtung über die mit Wachttürmen „geschmückte" Holzwand hinaus, so traf der sehnende Blick die nördlichen Ausläufer des chinesischen Sajangebirges — sonst dehnte sich ringsum die Ebene. Auch das Innere des Lagers glatt wie ein Tisch. Was an kleinen Hügelchen dagewesen, das hatten wir im deutscharischen Turn- und Sportverein „Theodor Körner" durch eigener Hände Arbeit für unsere Zwecke geebnet und uns so einen herrlichen Übungsplatz geschaffen. Der tägliche Spaziergang innerhalb der Planke gab somit keinerlei Gelegenheit zur auch nur bescheidensten Bergfahrt. Bloß im Winter bildete sich nach Schneefall an einer Stelle eine größere Schneewächte, sie wurde mein „Ersatz"-Firngrat, den ich täglich überschritt und dabei trübselig vergangener glanzvoller Bergzeiten gedachte.
Nach drei Wintern genossener Gastfreundschaft nahm ich am Bismarck-Tage 1917 leichten Abschied und reiste, von den russischen Ärzten wegen meiner Verwundung als invalid anerkannt, in sechzehntägiger Fahrt im üblichen Viehwagen nach Moskau, um dort der dänisch-russischen Ärzteabordnung vorgeführt zu werden, die zu entscheiden hatte, ob ich Anspruch auf Spitalsbehandlung in Dänemark habe oder nicht. Und ich wurde angenommen. Ein russischer Revolverschuß, der mir Ende 1914 im Nahkampf das rechte Handgelenk zertrümmert und seine teilweise Steifheit zur Folge hatte, war die Ursache dieses Glücksfalles.
Nach mehreren bangen Wartewochen ging es über Petersburg und Torneo durch das prächtige Schweden, dort überall von den hilfsbereiten Einwohnern, besonders aber von den gütigen, opferwilligen Frauen aufs herzlichste begrüßt und beschenkt, nach Hald in Dänemark. Was Schweden in diesem Kriege für die Kriegsgefangenen und besonders für uns Deutsche getan hat, wird stets ein unvergängliches Ruhmesblatt in der Geschichte dieses wackeren germanischen Volkes bleiben. Ich halte die Dankbarkeit als eine deutsche Tugend hoch. Es sei mir daher gestattet, wenigstens dreier dieser hochherzigen Schwedinnen dankbarst zu gedenken: Fräulein Else Björkmann in Skösde, Fräulein Magnhild Björkquist in Örebro und besonders Frau Edith Lagergren in Helsingborg.
Der Bann war gelöst, wir atmeten wieder frei auf, erfreuten uns dänischer Hilfe und ärztlicher Behandlung und schon ein Vierteljahr später brachte uns ein mit schwarz-rot-goldenen Fähnlein geschmückter Zug in die Heimat. Gleich nach dem Verlassen Dänemarks hielten wir auf reichsdeutschem Boden, schwarz-weiß-rote Fahnen umrauschten die Heimkehrer, Musik begrüßte sie mit „Deutschland, Deutschland über alles" und mit der „Wacht am Rhein", freundliche Hände bewirteten uns und so war es denn zur unumstößlichen Gewißheit geworden: ich war wieder in deutschen Landen, die böse Zeit, da es mir versagt gewesen, an Seite der reichsdeutschen Brüder für Ehre, Freiheit und Vaterland zu kämpfen, war vorbei, ich war nach 33monatiger Gefangenschaft wieder frei, war wieder ein Mensch!
Nach einer Operation, die der alpine Meister und ebenso hervorragende Chirurg, Prof. Dr. Hans Lorenz, an meinem Handgelenk ausführte und die, soweit dies möglich war, eine Besserung brachte, meldete ich mich, zum Frontdienst untauglich erklärt, im Frühjahr 1918 zur k. u. k. Bergführer. Ersatz- und Instructionskompagnie in St. Christina im Grödner Tal. Ich wurde dorthin einberufen und sogleich zum Kursleiter ernannt, um mit den beiden anderen. Kursgruppenleitern Hanns Barth und Dr. Erwin Merlet und den uns zugeteilten Unterrichtsoffizieren und -mannschaften abwechselnd in St. Christina, auf dem Sellajochhaus und auf der Regensburger Hütte Offiziere und Mannschaften für den Gebirgsdienst bei den Hochgebirgs- und Bergsührerkompagnien auszubilden.
Wer von St. Ulrich nach St. Christina aufsteigt oder die prächtige Grödner Bahn benützt, dem bietet sich unterwegs ein Bild, das er, soferne ein Bergsteigerherz in ihm schlägt, nimmer vergißt. König Langkofel beherrscht das Tal, dem er seine gewaltige Nordflanke zukehrt, und sie ist es, in die wir immer wieder unser bewunderndes Auge versenken. Gebärden sich die Nordwestabstürze entschieden abweisend, so will die ungeheure Plattenflucht der von den Nordwestwänden durch einen Riesen-Pfeiler getrennten Nordnordostwand überhaupt keinen Gedanken an eine Bezwingung gestatten. Erbarmungslos ablehnend gegen jeden! Wirklich gegen jeden? Ausgenommen den erfahrenen Plattenkletterer der nördlichen Kalkalpen, der es längst verlernt hat, sich durch die Glätte von Plattenpanzern von vorneherein in die Flucht schlagen zu lassen.
„Wenn man da hinauf könnte bis zum obersten Rand des Plattenschusses, so wäre mehr als die halbe Wandhöhe gewonnen! Das muß versucht werden!" sagte ich zu mir. Doch noch war es zu früh, denn die von Schmelzwasser überronnenen Plattentafeln glitzerten silbern in der Sonne, und so studierte ich indessen den Weg, der mich über diese scheinbar unnahbare Wand zum Gipfel bringen sollte.
Ein riesenhafter, allseits mit Überhängen abbrechender gelber Pfeiler, der Nordpfeiler, scheidet die plattengepanzerten Wandfluchten, die bisher unter dem Namen „Langkofel-Nordwand" zusammengefaßt wurden. Ihre westliche Hälfte wurde bereits von der Partie Sepp Innerkofler—Wildt betreten, die durch die Nordwest, und Nordnordwestwand zur Spitze emporstiegen, sowie von der Gesellschaft Angelo Dibona mit Max Mayer und Luigi Rizzi mit Dr.-Ing. Guido Mayer, die über die Nordflanke der Nordnordwestwand-Mittelrippe anstiegen, wozu Haupt und Flum eine Wegänderung fanden. In die östliche Hälfte aber, in den gleißenden Plattenmantel, den Nordostpfeiler und Nord-Pfeiler einschließen, hatte sich noch keines Menschen Fuß gewagt.
Aus diesen Platten konnte es nur einen Weiterweg geben: den in der rechten, obersten Ecke des Plattenschusses durch eine zwischen Hauptwand und der Spitze des Nordpfeilers eingesenkte, sich nach oben keilförmig zuspitzende Schlucht. Sie führt, wie zu sehen war, auf die Scharte zwischen Nordkante und Kopf des Nordpfeilers. Die Nordkante selbst sah nicht kletterbar aus, doch links, östlich, unweit ihrer Schneide steigt eine lange Fortsetzung von Kaminen sehr steil empor und mündet in eine kleine Scharte zwischen den beiden Spitzen eines Türmchens. Was darüber kam, mußte schrofiges Gebiet sein und konnte kein Hindernis mehr bereiten. 940 Meter Höhenunterschied zwischen Einstieg und Gipfel zeigt die Alpenvereinskarte.
Der Zustand der Berge war infolge des meist ungünstigen Wetters nicht besonders gut, es hieß daher warten und mittlerweile auf anderen Gipfeln und Wegen „Dienst machen". Dieser Dienst war nun wohl für einen Bergsteiger das Ideal einer militärischen Beschäftigung. Der Kurs bestand in einem 14t-ägigen theoretischen Unterricht sowie in Kletter, und Eisübungen; daran schloß sich ein 14tägiger Spreng, und Sturmkurs, worauf die Teilnehmer je 14 Tage auf der Regensburger Hütte und dem Sellahaus zubrachten, um auf Touren die weitest gehende praktische Ausbildung im Felsklettern sowie auf Schnee und Eis zu erhalten. Die ersten Vorübungen führten mich natürlich mit meiner Schar öfter an den Ost- und Nordfuß des Langkofels, wo dann auf den Kletterblöcken der Steinernen Stadt und auf dem großen, steilen und meist beinharten Schneefeld am Fuße der Langkofelnordwand ein reges Treiben herrschte. Gar oft musterte ich bei diesen Gelegenheiten meine Plattenwand und was sich ober ihr aufbaute und wollte vor Ungeduld vergehen. Einen grasigen Kamin, zu dem ich einige meiner Offiziere führte, die ihn dann erkletterten, stellte ich als beste Einstiegsmöglichkeit fest. Und dann kam eine Reihe von herrlichen Tagen mit wolkenlosem Himmel, Tage, die mich zu raschem Entschluß drängten. Beim Frühstück in der Messe fragte ich die Dienstfreien, ob einer mit mir zu Kletterübungen zum Langkofel hinaufgehen wolle?
Es meldete sich ein neu angekommener Fähnrich, den ich zum ersten Male sah und dem ich sonst wegen seiner ersichtlichen Neigung zu Körperfülle diese Begeisterung für eine freiwillige Fleißaufgabe eigentlich nicht zugetraut hätte. Um so mehr freute mich dieser Beweis von Kletterlust von Rolf Waizer. Kurz darauf stiegen wir durch den Ampezzangraben empor zum Ostfuß des Berges und turnten in den Felsen herum. Waizer gewann durch seine ruhige und sichere Kletterei mein volles Vertrauen und so kam es von selbst, daß uns der nächste Vormittag beim Einstieg in meine Plattenwand fand, die ich nun auf ihre Begehbarkeit prüfen wollte. Rucksack und Nagelschuhe blieben unten und hurtig ging es durch den Kamin aufwärts, Und nun löste eine freudige Überraschung die andere ab. In reizender Plattenkletterei eilten wir, immer ziemlich nahe der senkrechten Wand zur Linken, frohen Mutes gegen jenes halbmondförmige oder kipfelähnliche Wandstück empor, das ich von unten aus als vermutlich erstes Fragezeichen betrachtet hatte. Doch ohne jeden Aufenthalt querten wir durch die rechte (westliche) Spitze des „Kipfels" und standen nun unter dem langen Wulst, dessen Anblick mir vom Tal aus sehr wenig gefallen hatte. Jetzt aber sah ich, daß auch dieses vermeintliche Hindernis seine Achillesferse in Form einer erkletterbaren Stelle besaß, und daß damit der Weg bis zum Beginn der keilförmigen Schlucht offen war. Groß war die Versuchung, weiter zu gehen, doch wir waren ja ohne Bergschuhe, ohne Mundvorrat und Wasser und Mittag war schon lange vorüber. „Nein, das wäre Unsinn! Also zurück und morgen früh ans Werk!"
Es war der 21. August 1918, als Rolf und ich um ½ 4 Uhr früh unser Hotel Wolkenstein verließen und in der Dunkelheit dem Einstieg zustrebten. Diese Stelle liegt halbwegs zwischen den Höhenzahlen 2188 und 2287 der Alpenvereinskarte, dort, wo die mit Sa cöul bezeichneten Felstrümmer über 2181 die Plattenhänge erreichen und wo die Schichtenlinie 2240 die Felszeichnung der Karte trifft.
2 1/2 Stunden nach Verlassen des Hotels machten wir uns nach Aufstellung eines Steinmannes an die Arbeit.
Den Weg bis zum Wulst kannten wir schon: durch einen kurzen Kamin gewannen wir eine steile, mit Gras verkleidete Verschneidung, die oben in einen kleinen Felskamin überging und uns nach 25 Meter Seilverbrauch ein Köpfel erreichen ließ. Gleichzeitig gehend, das Seil in Schlingen tragend, spazierten wir nun in den herrlichen Platten durch Rinnen und auf schmalen Bändern, zuerst wenig, dann steil ansteigend, uns stets möglichst links haltend, aufwärts, querten wie am Vortage die rechte, westliche Spitze des „Kipfels" zu einem kleinen Schartel hinüber und betraten jenseits eine flache Mulde unmittelbar unter dem langen Wulst. Wer noch nie in steilen, von senkrechten oder überhangenden Wänden eingeschlossenen Platten stand, der wird sich hier eines starken Eindruckes sicher nicht erwehren können.
Schmelzwasser, das aus dem Kessel unterhalb des Gipfels kam, überrieselte den linken, östlichen Teil dieses Wulstes, über dessen sperrende Schranke es nun emporzukommen galt. Nahe dem rechten Rande kletterte ich 20 Meter in festem Fels sehr steil empor und erreichte dann Schrofen, die ganz leicht unter die schwarze, wasserüberronnene Wand führen, die den Abbruch des unter dem Gipfel eingebetteten Kessels bildet. Eine Schleife nach rechts dürfte den Durchstieg noch erleichtern. Von hier erreichten wir mühelos den Beginn jener Schluchtfelsen, die allein den Aufstieg in die Scharte zwischen Nordpfeiler und Nordkante und damit den einzigen Weg ermöglichen konnten. Die Kletterei in, der Schlucht ist anstrengend, der genußfreudige Felsgeher kommt aber vollständig auf seine Rechnung. Nach obenhin nehmen Steilheit und Schwierigkeit ab. Von der Scharte weg erkletterten wir schnell die Spitze des Nordpfeilers, die sich als eine hervorragende Aussichtswarte erwies, als welcher ihr von der nächstfolgenden Partie taxfrei der Name „Pichl-Warte" verliehen
wurde. Doch mich reizte jetzt weniger die fesselnde Tief, und Rundschau als der Anblick der Nordkante, die uns weiterhelfen sollte. Ungemein jäh und glatt stieg sie uns gerade gegenüber empor und verneinte unsere Frage, ob wir den Anfang der links von ihr eingeschnittenen langen Kaminreihe unmittelbar gewinnen könnten. „Das sieht nicht gut aus" meinte ich zu Rolf, „doch in der Nähe haben die Felsen immer ein anderes Gesicht."
Nach Errichtung eines Steinmännchens stiegen wir wieder in die Scharte zurück, erkletterten einen kleinen Vorbau am Fuße der Nordkante und dann legte ich Hand an sie selbst. Und siehe es ging leichter, als ich erwartet hatte! Kleine Griffe und Tritte ermöglichten die Überwindung der nächsten -25 Meter an der scharfen und stellen Kante bis zu einem Punkte, wo einem wieder einmal der Mangel an Flügeln unangenehm in Erinnerung gebracht wurde. Doch die Natur hatte, anderweitig zur rechten Zeit vorgesorgt. Ganz außerordentlich ausgesetzt und heikel konnte ich über eine Platte unterhalb einer gelben Nische und weiter nach links unter einem von unten aus deutlich sichtbaren quadratischen gelben Wandabbruch um eine Ecke herum in einen gelbwandigen Kamin queren, der bisher unsichtbar gewesen war, den ich aber schon vom Tale aus mit dem Glase als Verbindungsweg ins Auge gefaßt gehabt hatte. Gute Griffe und Tritte zu beiden Seiten des Kamins gestatteten ein lustiges, rasches Aufwärtskommen, bis wir nach einer guten Seillänge in eine oben mündende Schuttrinne aussteigen konnten und über einen in ihr liegenden eingeklemmten Block ein geschütztes, bequemes Plätzchen in der Nordkante erreichten. Dicht vor uns klaffte jetzt die lange Kaminreihe unheimlich hoch empor; sie barg den Schlüssel der Ersteigung.
Und der Schlüssel ward unser! Die Kamine boten zwar meist schwierige, aber genußreiche Kletterei, doch stellten sich, wie gewunschen, immer wieder gute Standplätze ein, von denen aus ich die Rucksäcke aufseilen und Rolf sichern konnte. Einen lockeren Block, der mir den Ausstieg aus einem Kamin verwehrte, mußte ich zur Tiefe senden; er rächte sich dadurch, daß er beim Sturz unser Seil durchschlug. Die gefürchteten Kaminüberhänge, -verengungen und -erweiterungen blieben aus, nur für eine kurze Zeit wurde ich an die linke Außenwand eines Kamins hinausgedrängt. Höher oben lockten gute Schrofen, nach links hinaus Zu klettern, doch wir kniffen nicht, sondern blieben unseren biederen Kaminen treu, schmerzte uns auch schon das Genick vom steten steilen Aufwärtsschauen. Endlich nahm uns eine Höhle auf, aus der wir durch einen kurzen und letzten Kamin die Ausstiegsscharte zwischen den beiden Spitzen des früher erwähnten Türmchens betraten. „Rolf, wir sind durch!" rief ich meinem braven Gefährten freudig hinab. Er hatte sich, wie ich es erwartet, den Schwierigkeiten einwandfrei gewachsen gezeigt und auch bei den „haarigen Stellen" keine Miene verzogen. Ich beförderte ihn deshalb nachher wegen „tapferen Verhaltens vor dem Feinde" zu meinem „Berg-Leibfuchsen".
Vor uns dehnte sich nun der offene Schrofenkessel, an dessen oberem Rande der Gipfel liegen mußte. Ganz kurz schlürften wir die Seligkeit des Siegesgefühls und der Freude, uns aus eigener Kraft Bahn gebrochen zu haben, dann wandten wir uns über den Grat nach rechts, überstiegen seine kleinen Türme und gelangten, zuletzt etwas absteigend, in eine seichte Scharte, zu der von rechts eine düstere Rinne emporkletterte. Es war die Innerkofler-Rinne. Nun in Bergschuhen, übersetzten wir die schmale, mit Schnee erfüllte Scharte und stiegen dann über die guten Schrofen gerade hinauf in eine Scharte, auffallende Scharte des Nordgrates und von dort mit wenigen Schritten zum Steinmann des Gipfels.
Unser Wunsch und Wille war erfüllt worden! Und als wir einander über dem Steinmann im goldenen Sonnenlicht und unter tiefblauem Himmel die Hände schüttelten, da sprach reinstes Glück aus den Augen eines jeden. Bei Rolf, weil es seine erste Neutour und seine erste große Bergfahrt überhaupt gewesen, und bei mir, weil ich mich trotz der dahingeschwundenen Jahre, trotz Kriegsleiden und zerschossenen Handgelenkes wieder jung fühlte, wie einst, als ich hier mit den Freunden Barth und Gams den Schmitt-Kamin durchklettert und dort drüben mit Hanns Barth den Weg über die drei Vajolettürme eröffnet hatte. Mir war, als wären 29 Jahre spurlos an mir vorbeigegangen!
Nach kurzem Aufenthalt traten wir den Abstieg an. Vor wenigen Tagen erst war ich heroben gewesen und hätte mit dem Gipfelbesuch den Gratübergang zum Langkofeleck verbunden, so daß ich nun den Abstieg ohne Aufenthalt fand. In den letzten Strahlen der scheidenden Sonne eilten wir zu Tal und gerade als die Dämmerung ihre kurze Herrschaft an ihre viel mächtigere Schwester Nacht abtrat, sprangen wir aus den Felsen auf den Schutt.
Die funkelnden Sterne zu unseren Häupten, den murmelnden Bach, den zu verschlingen sich meine ausgedorrte Kehle vergeblich bemühte, zur Seite, so genossen wir vor der Langkofelhütte die feierliche Ruhe eines unvergleichlich schönen Abends, den wunschgemäßen Abschluß einer großartigen Bergfahrt, die uns beiden eine der herrlichsten Erinnerungen fürs Leben bleiben wird.
Dann bummelten wir gemächlich im Mondschein nach St. Christina. Just, als wir in unser Hotel einzogen, rückte eine Rettungsmannschaft aus, um uns zu suchen. Ein Kamerad hatte irrigerweise behauptet, daß ich schon am Nachmittag von einer Bergtour hätte zurück sein wollen, und da nach seiner Witterung meine Fahrt nur dem Langkofel gegolten haben konnte, so mußte sich ein Unfall ereignet haben. Seiner Fürsorge hatten wir den Empfang durch die mit Handgranaten und Lebensmitteln wohl ausgerüstete Schar von langkofelfreudigen Männer zu verdanken.
Die Handgranaten lehnten wir ab, doch Speise und Trank nahmen wir um so dankbarer an.
Am nächsten Vormittag rief mich der Dienst auf die Regensburger Hütte. Ich ahnte nicht, daß zur selben Zeit, als ich dort hinauf zu neuen Taten wanderte, mein alter Freund Jahn, Dr. Merlet und Huter, ohne von der geschehenen Erstersteigung zu wissen, die Wiederholung der neuen Tour durchführten. Jahn hatte es schon lange vorgehabt, einen Aufstieg über die Platten zu versuchen, und als ich mit ihm einmal darüber sprach und ihm sagte, daß ich einen empfehlenswerten Einstieg gefunden hätte, meinte er, darum sei ihm nicht bange, aber wie es ober den Platten gehen werde, das sei die Frage. Das war alles, was wir einander über unsere Pläne mitgeteilt hatten, und nun waren er und seine Gefährten durch allzu langes Zögern um den Vortritt gekommen. Um einen Tag zu spät! Die Gruppe Jahn folgte übrigens nicht ganz meinen Spuren, sondern verließ die lange Kaminreihe schon etwa 10 Meter oberhalb ihres Beginnes, querte an der linken Außenwand äußerst ausgesetzt nach links in die Nordnordostwand und erreichte dann, aufwärts kletternd, den großen Schrofenkessel weiter östlich. Dieser Wiederholung folgte bald darauf eine dritte und vierte Ersteigung und ich hoffe, daß nach Wiedereintritt günstiger Verhältnisse zahlreiche deutsche Bergsteiger den Langkofel auf diesem neuen Wege besuchen und so eine der überwältigendsten Fahrten im Reiche unserer — trotz allem — deutschen Berge kennen und lieben lernen werden!
5) Siehe auch den ausführlichen Tourenbericht in der „Österr. Alpenzeitung" Nr. 959 vom 5. November 1918.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1920, Seite 53-55

Datum erste Besteigung:
21.08.1918
Gipfel:
Langkofel (Sassolungo)
Erste(r) Besteiger(in):
Pichl Eduard
Waizer Rolf