Nordostwand - "Route Lorenz/Wagner"
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Routen Details:
Langkofel (3178 m.). 1. Erst, über die Nordostwand, 1. Ueberschreitung.
Die Lösung des Problems, den Langkofel über seine ungeheuren Nordostabstürze zu ersteigen, ist meinem Freunde und Sectionsgenossen Eduard Wagner - Prag und mir am 30. August d. J. gelungen. Am 29. Aug. unterzogen wir die Abstürze, soweit als möglich, mit Hilfe des Fernrohres einer genauen Prüfung und bezogen abends alsNachtquartier einen Heustadel in der Nähe der „Steinernen Stadt" unter dem Sellajoche. Am nächsten Morgen wurde um 4 Uhr aufgebrochen. Bei Tagesgrauen (4 Uhr 55) standen wir bei der Tags vorher festgesetzten Einstiegsstelle. Dieselbe befindet sich nahe der Südkante der Ostwand, rechts von einem kleinen Schneefelde, dort, wo ein Riss schief nach rechts emporzieht. Es handelte sich zunächst darum, jenes auffallende Band zu erreichen, das, im südlichen Theile der Ostwand gelegen, von Süden nach Norden erst etwas an-, dann, von weissen Platten unterbrochen, absteigt und sich gleich hinter den Platten rasch zu seinem Ende senkt, das durch einen mächtigen, an der Wand lehnenden Felsblock markiert wird. In Kletterschuhen machten wir uns an die Arbeit (5 U. 5). Mit Hilfe des Risses kletterten wir schräg nach rechts zu einem kleinen Felsköpfel empor, das uns Stand bot. Rechts von demselben befindet sich ein Kamin, der aber durch einen riesigen Block gesperrt ist. Mittelst „menschlichen Steigbaumes" wurde die Wand links von dem Block bewältigt; die Rucksäcke und "Wagner's Pickel (ich hatte keinen mitgenommen) wurden aufgeseilt. Nun zieht ein Kamin schief nach rechts empor. Um zeitraubendes Aufseilen des Gepäckes zu vermeiden, kletterten wir bald aus dem Kamine nach rechts an die Wand hinaus. Diese erwies sich aber als plattig und so schwierig, dass wir bald wieder den Kamin zu erreichen trachteten, was mittelst eines kurzen, aber sehr schweren Querganges gelang. Höher oben verliert der Grund des Kamines seine Steilheit, gleich darauf ist das Band erreicht (5 U.hr 55 - 6 Uhr). Wir zogen die Bergschuhe an und verfolgten das Band nach Norden. Es ist ein breites, bequem gangbares Schuttband, über dem die Wand zumeist derart herausragt, dass man stellenweise gebückt gehen muss. Unsere Nachfolger können das Füllen der Flaschen bis hieher aufschieben, es findet sich mehrfach Wasser in reichlicher Menge. Bald waren die Platten, die das Band durchbrechen, erreicht. Wir überkletterten sie ein wenig absteigend, und um 6 Uhr 35 lagen sie hinter uns. Nun verliessen wir sogleich das sich stärker senkende Band und stiegen über ziemlich leichte Felsen schief nach rechts zu einer kleinen Terrasse hinauf (6 U. 45). Von hier gieng es, um einer überhängenden Wand auszuweichen, erst etwas nach links, dann aber über plattige "Wandstellen und durch kleine Kamine schräg nach rechts empor, in der Richtung gegen den senkrechten Absturz eines aus der Wand vortretenden Pfeilers. Nahe einer Felskante war eine 20 m. hohe, schwierige, mehrfach ein wenig überhängende Wand mit sehr guten Griffen zu überwinden, dann gelangten wir auf ein Band; ohne dasselbe zu verfolgen, kletterten wir ober demselben schräg nach rechts weiter und näherten uns so immer mehr dem hier muldenartig eingerissenen Grande jenes Winkels, den ein ungeheurer, aus der Ostwand vorspringender Pfeiler mit derselben bildet. Wir gelangten abermals auf ein Band am Fusse senkrecht einsetzender Wände und giengen auf demselben einige Schritte nach rechts, bis wir zu dem ersten grösseren Kamin kamen, der von links herabzieht. Er endet unten in einer Nische; in dieser Frühstücksrast (7 Uhr 35 - 8 Uhr 5).
Nachdem wir wieder die Kletterschuhe angelegt hatten, kletterten wir durch den Kamin hinauf, dann gieng es, im Allgemeinen in der gleichen Richtung (schief nach links hinauf) durchaus schwierig weiter, auf den Fuss einer glatten, gelben Wand zu. Unterhalb derselben gelangten wir an den Rand eines kleinen Kessels und stiegen nun in wenigen Min. über gelbe, ausserordentlich morsche Felsen und über Schutt bis zu dem kleinen Schneefelde empor, das den grössten Theil des kleinen, von jähen Wänden überragten Kessels erfüllte (8 Uhr 55 —9 Uhr 15). Ueber das steile Schneefeld und eine mitten aus demselben herausragende, sehr morsche Felspartie gelangten wir zu einem Kamine, der sich etwa in der Mitte der Wände im Hintergrunde des Kessels befindet und hinter einer aus der Wand vorspringenden Felsrippe versteckt ist. Dieser senkrechte Kamin ist etwa 15 m hoch, weit und sehr plattig; überdies war er etwas vereist. Er brachte uns auf einen kleinen ebenen Platz auf der Höhe der erwähnten Felsrippe, die ihn bilden hilft. Es folgte eine schwierige Querstelle nach rechts bis nahe an eine Felskante; weiter rechts von derselben befindet sich ein überhängender, wasserüberronnener Riss. Nahe der Kante gieng es nun etwa 20 m ziemlich gerade über die Wand hinauf. Dann hiess es, die Kante selbst einige Meter weit zu benützen und von ihr aus schief nach rechts, meist mit Hilfe eines Griffe bietenden Risses zu dem wasserüberronnenen Risse emporzuklettern, neben dem sich ein kleiner Stand befindet. Diese letzte Stelle ist wieder gegen 20 m hoch; das Gepäck seilten wir an derselben auf. Die mehrfach nassen, sehr plattigen Felsen vom Schneefelde bis hieher bieten aussergewöhnliche Schwierigkeiten; sie sind das schwerste Stück des ganzen Anstieges. Den Wasserriss selbst betraten wir nicht, sondern kletterten sofort über noch immer sehr schwere Felsen schräg nach links hinauf. Wir gelangten so zu einer Reihe ganz seichter Kamine; hoch oben verliessen wir dieselbe nach rechts, um an eine Gratrippe zu gelangen, ungefähr dort, wo ein auffallend schlanker, gelber Thurm sichtbar wird, der einem noch weiter nördlich befindlichen Seitengrate angehört. Ein schwieriger Quergang in der Richtung gegen diesen Thurm brachte uns an den Rand eines schluchtartigen Einrisses, der sich etwas oberhalb gabelt. Wir übersetzten den Einriss und verfolgten ein Stück weit die brüchige Gratrippe jenseits desselben. Dann wandten wir uns nach links und gelangten durch einige nach rechts emporführende Kamine um 11 Uhr 50 auf den Hauptgrat des Langkofels, unmittelbar nördlich von jenem auffallenden, nach Norden überhängenden gelben Gratthurme, gegen den man auf dem gewöhnlichen Felsenwege nach Verlassen der „unteren Eisrinne" emporklettert. Der weitere Weg über den Grat fällt mit dem obersten Theile des Felsenweges zusammen. Nach einer kurzen Rast kletterten wir (12 U.) längs des Grates gemächlich weiter. Die Erkletterung des „Rothen Thurmes" bot, da das Band und der Kamin an seiner Ostseite trocken waren, keine bedeutenden Schwierigkeiten; um 12 Uhr 35 war er überwunden (ab 12 Uhr 45), und um 1 Uhr betraten wir die Spitze.
Nach einstündigem Aufenthalte traten wir den Abstieg an. Auf dem „Rothen Thurme" 2 Uhr 10 - 2 Uhr 20. Die untere Eisrinne erreichten wir um 3 Uhr 40, an ihrem Ausgange wurde von 3 Uhr 55—4 Uhr 5 gerastet. Um 4 Uhr 50 wurden die Felsen verlassen. Langkofelhütte 5 Uhr - 5 Uhr 30, St. Ulrich 7 Uhr 35. Ich brauche wohl nicht hervorzuheben, dass die Kletterei an den vielfach sehr plattigen Felsen der Ostwand grössentheils sehr schwierig und exponiert ist; die Ersteigung des Langkofels über die Ostwand darf wohl zu den grossartigsten, längsten und schwierigsten Bergfahrten im Bereiche der Dolomiten gezählt werden.
Hans Lorenz, Akad. S. Wien.
Quelle. Mitteilungen des DÖAV 1895, Seite 284-285 und Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1896, Seite 20-21
Der Einstieg der Erstersteiger H. Lorenz und E. Wagner 1895:
Nördlich von den Stützmauern, welche die rechte Flankendeckung der Mulde in der Ostwand des Langkofelecks bilden, wird von dem Wege Sellajoch — St. Christina ein schräg nach rechts emporziehender langer Riß sichtbar, den wir etwa eine Stunde nach Verlassen des Jochs erreichen können. Man verfolgt ihn bis zu einem kleinen Felskopf und wendet sich nun dem durch einen großen Klemmblock gekennzeichneten Kaminabsatz zu. In früheren Jahren wurde dieses Hindernis links umgangen, wobei die Anwendung des „menschlichen Steigbaums " vorteilhaft war. Jetzt jedoch gelingt die Erkletterung des Absatzes auch vielfach mittels Durchkriechens einer im Kamingrunde befindlichen Höhlung. Durch Verfolgen des immer mehr an Neigung verlierenden schrägen Risses oder durch senkrechtes Anklettern an seiner linken Wand wurde die Höhe des breiten Plattenbandes erreicht 1 ). Nun mußte wohl das Band bei allen älteren Routen und Varianten bis nahe an sein Ende am Abbruch des Kessels südlich des Nordnordostpfeilers verfolgt werden, welcher Quergang nicht nur die Einheit der Route stört, sondern auch die Schönheit ihres Verlaufes beeinträchtigt. Zweifellos jedoch besitzt der Einstieg den Vorteil der größtmöglichen Nähe zum Sellajochhause und ist, wie schon in der Einleitung betont wurde, als eine der größten Leistungen des Jahres 1895 von hervorragendster Bedeutung.
1) Bezüglich dessen Aussehens ist auf die Literatur über die Erstersteigung zu verweisen. Hochturist S. 42, IV. Auflage, Wolf-Glanvell, S. 207 usw
Quelle: Zeitschrift des DÖAV 1913, Seite 244-245
Diese Route wurde auch schon mit Skiern abgefahren!
Datum erste Besteigung:
30.08.1895
Gipfel:
Langkofel (Sassolungo)
Erste(r) Besteiger(in):
Lorenz Hans
Wagner Eduard