Westanstieg

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Routen Details:
V. Die Rödtspitze. 11049' Kat., 3493 m .
Die Rödtspitze, ein gewaltiger Schneegipfel von pyramidenförmiger Gestalt, ist der Knotenpunkt und zugleich die höchste Erhebung des südwestlichen Theils der Venedigergruppe. Zwar hat der Kataster zwischen der Dreiherrenspitze und dem Hinteren Umbalthörl eine „Rosshufspitze 11 mit 11072' gemessen, allein Keil und Sonklar, welche diese Spitze in ihre Karten aufgenommen haben, zweifeln selbst an deren Existenz und in Wirklichkeit ist auch an der bezeichneten Stelle eine Spitze von dieser Höhe so wenig vorhanden, als der Name „Rosshuf" in der Gegend bekannt ist. Von der Dreiherrenspitze (11082' 3503 m 3499 m N.M.M.) streicht der Hauptkamm als Scheiderücken zwischen Umbal- und Ahrnthal im Allgemeinen in südwestlicher Richtung bis zur Rödtspitze, an welcher er sich in zwei Arme theilt. Der eine Arm zieht zunächst in südlicher Richtung über die Daberspitze (10755' Sklr. , 3399 m 3397 m N.M.M.) und das Kleine Glockhaus (10835' Kat., 342 5 m 3228 m N. M. M.), der andere verläuft als Fortsetzung des Hauptkamms südwestlich, parallel dem Zillerthaler Hauptkamm. Zwischen beiden Armen entspringt am Fusse der Rödtspitze das Schwarzbachthal, ein Zweig des Defereggenthals. Nach Westen ziehen von der Rödspitze zum Ahrnthal hinab das Windthal und das Rödtthal. Zwischen diesen beiden Thälern erhebt sich ein breiter Felsstock, der Pferraspitz (9318' SMr., 2945 m ). Durch das Windthal führt der Weg von Käsern zum Vorderen und Hinteren Umbalthörl. Vom Rödtthal hat die Rödtspitze ihren Namen im Ahrnthal, im Virgenthal ist sie als „Welitz" bekannt. So heisst auch der Gletscher auf ihrem Ostabhang das Welitzkees, während der in's Rödtthal hinabziehende Gletscher das Rödtkees genannt wird. Ein dritter Gletscher hängt auf der Südwestseite der Rödtspitze in's Schwarzbachthal hinab, ein vierter ergiesst sich vom nördlichen Vorgipfel der Rödtspitze in's Windthal. Nach Sonklar*) ist die Rödtspitze im Jahr 1852 bei der Triangulation von dem k. k. Hauptmann Preumann bestiegen worden, der Wirth von Prägraten will mit Anderen sie vom Welitzgletscher aus erstiegen haben, Touristen aber sollen noch nie oben gewesen sein. Theils dieser Umstand, hauptsächlich aber die nach der Lage der Spitze von derselben zu erwartende schöne Aussicht bestimmte mich, ihre Ersteigung zu unternehmen. Wir brachen am 1. August Morgens 3 Uhr von Streden in's Umbalthal auf. Um die Rödtspitze zu besteigen, hätten wir uns am besten noch unterhalb des Umbalgletschers links, dem Welitzgletscher zu gewendet, der in mehrere Zungen gespalten steil herabhängt ; da das Wetter zweifelhaft war, beabsichtigten wir aber zunächst nur, über's Umbalthörl nach Käsern zu gehen und schritten daher dem Umbalgletscher zu. Erst als wir schon eine ziemliche Strecke weit am westlichen Rande dieses Gletschers vorgedrungen waren, der Himmel reiner wurde und der schneidend kalte Nordwind sich legte, wagte ich die Besteigung der Rödtspitze in Vorschlag zu bringen. Wir begannen sofort um 7 Uhr 15 Min. zwischen Umbalthörl und Rödtspitze anzusteigen. Ueber Geröll und Schnee erreichten wir in 1 1/2 Stunden ohne Schwierigkeit die Kammhöhe, in einer weiteren halben Stunde den nördlichen Vorgipfel der Rödtspitze, eine kleine Firnkuppe (10427' Sklr., 2980 m 10583' Kat., 3029 m ), Virgeljoch oder Windthalspitz genannt. Jetzt wurde die Rödtspitze sichtbar. Über einen steilen Felsgrat hatten wir zu ihr anzusteigen, eine sehr anstrengende und schwierige Arbeit. Schliesslich ging es noch eine kurze Strecke sanft über Firn aufwärts, unter welchem ein weicher Schiefer von der Art der Bratschen am Wiesbachhorn zu Tage trat und um 11 Uhr langten wir auf dem Gipfel, einer kleinen runden Schneefläche an, in deren Mitte das Triangulirungszeichen, ein Steinmandl mit einem hölzernen Kreuze steht. Die Aussicht ist von unbeschreiblicher Pracht und Mannigfaltigkeit. Hoch und frei erhebt sich die Spitze über ihre nächste Umgebung. Nach Osten fällt sie steil 4500' tief zum Umbalthal ab, nach Westen fast ebenso tief zum Rödtthal, während sie von dem nördlich und südlich angrenzenden Gebiet durch tiefe Einsattelungen getrennt ist. Aus dem Umbalthal steigt im Nordosten der Hauptstock der Venedigergruppe mit seinen zahlreichen Gipfeln empor. Im Westen zieht jenseits des Ahrnthales , in welches der Blick durchs Rodt- und Windthal hinabdringt, mit einer Reihe von Spitzen gekrönt, der lange Wall des Zillerthaler Hauptkamms hin. An ihn schliesst sich nördlich die Reichenspitzgruppe an. Im Süden ragt zwischen den von der Rödtspitze ausstrahlenden Gebirgskämmen die Riesergruppe mit der schönen Pyramide der Hochgalle hervor. Liebliche grüne Thäler unterbrechen überall diese Eis- und Felsmassen, hinter welchen fast in jeder Richtung entferntere Gebirge sich zeigen. Den prachtvollsten Anblick aber gewährt der ungeheure Umbalgletscher, der von einem Kranz von Spitzen umschlossen in der Tiefe sich ausbreitet. Um 12 Uhr traten wir den Abstieg nach Käsern an. Ueber einen mit Neuschnee bedeckten steilen Felshang gelangten wir rasch auf das Firnfeld des Rödtgletschers hinab, bald aber verwehrte dessen starke Zerklüftung das weitere Vordringen. Wir mussten umkehren und wandten uns nördlich einem Felskamm zu , der von der Rödtspitze in den Rödtgletscher vorspringt. Am nördlichen Abhang dieses Kammes stiegen wir, anfangs über Felsen, dann über eine mehr als 50° geneigte harte Firnwand, in welche Schnell fast 1 1/2 Stunden lang abwärts Stufen einstossen musste und unterhalb deren eine Bergkluft sich hinzog, auf den nördlichen Zufluss des Gletschers hinab. Ohne Hindernisse ging es nun über den Gletscher hin, dem Pferraspitz zu und unter dessen Wänden am Gletscherende hinab, bis wir um 3 Uhr 30 Min. das Eis verlassen konnten. Nach halbstündiger Rast wanderten wir vollends durch's Rödtthal hinaus. Unterhalb des Gletscherendes (7211' Kat., 2279 m ) stürzt das Thal rasch mehrere hundert Fuss tief ab auf einen breiten von sanftfliessenden Bächen durchrieselten moorigen Boden, der eine Meereshöhe von 6500' (205 5 m ) haben mag und durch seine Ebenheit an den Mooserboden in Kaprun erinnert. Am Ende dieses fast eine Stunde langen Bodens bricht das Thal plötzlich ab und es eröffnet sich ein reizender Blick auf das in der Tiefe liegende Ahrnthal. Um 6 Uhr kamen wir in Kasern an.
Quelle: Zeitschrift des DÖAV 1872, Seite 198;
Datum erste Besteigung:
01.08.1871
Gipfel:
Rötspitze Untere (Spalla die Rosso)
Erste(r) Besteiger(in):
Harpprecht Theodor Dr.
Schnell Josef