Südwestabstieg
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Routen Details:
Erste Begehung durch A. Queitsch und Bruder mit J. Unterwurzacher;
Eine Besteigung der Schlieferspitze
Alfred Queitsch, Zittau.
Am Krimmler Törl löst sich vom Venedigerhauptkamm als einer der vielen nach Norden ausstrahlenden Seitenkämme der Krimmler Kamm los. Er trennt das Krimmler Achental vom Obersulzbachtal und hat, wie auch die andern Seitenkämme, eine ganze Reihe recht bedeutender Erhebungen. Die höchste davon ist die 3290 m hohe Schlieferspitze. Sie sieht als hohe Warte den höchsten Gipfeln der Venedigergrupe in der günstigsten Entfernung gegenüber, und man kann sich deshalb schon denken, dass der Anblick dieser Gruppe von der Schlieferspitze überaus großartig sein muss. Das bewog mich vor allem, den Berg einmal zu besuchen. Es war 1920, in der Nachkriegszeit. Die Warnsdorfer-Hütte war noch nicht bewirtschaflet, und es fehlte in ihr an allem, was den Aufenthalt behaglich machte, wir mußten Decken und Lebensmittel selbst mitbringen. Nun, wir richteten uns ein, so gut es ging. Unser Besuch galt zwar vor allem der Hütte selbst — wir wollten feststellen, in welchem Zustande sie sich befinde, um dann das Ergebnis eigener Besichtigung unsrer Sektion mitteilen zu können. Aber irgend eine kleinere Bergtur sollte doch damit verbunden werden, und dazu wurde die Schlieferspitze ausersehen. Es war gegen 5 Uhr früh, als wir drei — Unterwurzacher, mein Bruder und ich, aufbrachen. Zunächst stiegen wir jenseits der Talmulde, die den Kammrücken, auf dem die Hütte steht, vom Massiv des Krimmlerkamms trennt, den sehr steilen Grashang empor, bis wir auf eine Höhenterrasse gelangten. Diese zieht sich in einer Höhe von etwa 270(1 m weithin an der Westseite des Krimmlerkamms fort. Geröll, Schneeflecken und Wassertümpel bedecken sie. eine gewaltige Aussicht hat man schon in dieser Höhe. Es war nicht gerade besonders schönes Wetter, Nebel erfüllten das Krimmler Achental, lagen dicht auf dem Krimmlerkees und zogen in Schwaden und Fahnen um die Berggipfel. Aber zeitweise enthüllten sich doch wundervolle Teilbilder: über dem nebeldampfenden Achental erschien einmal die Reichenspitze, blendend im Morgensonnenstrahl, dann wieder, riefenhoch und finster in rauchenden Schwaden die Schneide der Simonyspitzen und Dreiherrenspitze. Die Wanderung auf dieser Höhenterrasse ist ohne jede Schwierigkeiten, nur etwas unbequem, da man ständig über Geröll zu steigen, von Block zu Block zu springen hat. Tückischer Grund sind größere Flächen von feinem Schotter und Steingruß bedeckt — scheinbar besserer Weg, birgt er glattes, schwarzes Eis. auf dem man leicht ausgleitet und zu Fall kommt. Wir überstiegen drei Gratrippen, die auf die Terrasse mündeten und hier nur noch flach und grobes, halb zerfallenes Blockwerk waren — es ist eine ziemlich lange Wanderung. Rechts oben zeigten sich erst die Törlköpfe, ca. 3100 m dann die Sonntagsköpfe, 3135 m, und schließlich die Schlieferspitze und eine Reihe gewaltiger, von ihr aus nach Süden strebender Grattürme. Wir waren im Schlieferkar angelangt. Dieses ist zum größten Teil vom nicht großen, aber sehr zerklüfteten Schlieferkees ausgefüllt. Aus der von trübem, neblichem Dunst erfüllten Bucht leuchteten große Eisspalten in märchenhaftem Grün. (Ich habe mehrmals die Beobachtung gemacht, dass die grüne Farbe der Eisbrüche bei trübem Wetter viel intensiver ist, wie bei sonnigem!)
Noch hatten wir ein großes Geröllfeld zu übersteigen, bevor wir den Gletscher betreten konnten. In einem etwa 20 kg schweren Quarzstück fanden wir einen schönen Karnaol, wir hätten ihn gern mitgenommen und gaben uns alle Mühe, ihn aus dem Quarztrumm herauszubrechen. Aber er saß zu fest: alle Pickelschläge waren umsonst. Ich fasste schließlich den Stein mit beiden Händen und schmetterte ihn mehrmals auf die Kante eines Gneisblockes — umsonst, der Quarz blieb fest beisammen, nur mir geriet der Mittelfinger der rechten Hand einmal zwischen die Steine und es wurde ihm dabei übel mitgespielt, die Haut platzte an einigen Stellen auf. Da musste ich meine Versuche aufgeben. Ich wickelte ein Taschentuch um die Hand — das Blut lief zwar durch und machte meinen Pickelstiel klebrig, aber ich konnte das nicht beachten, es ging weiter. Wir betraten den Gleicher Das Sonnenjahr 1920 hatte auch dieses Eisfeld aper getaut, überall blankes, glattes Eis. Mein Bruder und ich hatten bald die Eisen angelegt und konnten damit gut auf dem Eise gehen. Unterwurzacher hatte seine Eisen in der Hütte gelassen, und so viel sicherer er sich auf glattem Eise auch bewegte wie wir, hier musste er die Eisen doch recht vermissen, denn er war oft gezwungen, für sich Stufen zu schlagen. Wir stiegen halblinks über den Gletscher empor, in der Richtung auf die Stelle, wo sich die dunkle Gipfelpyramide der Schlieferspitze von ihrem Westgrate abhebt. An einem nicht sehr steilen Firnhang erstiegen wir den Nestgrat nahe am Gipfelansatz, und dann über grobes Blockwerk unmittelbar auf — oder neben dem steilen Grataufschwung zur Spitze. Dieser Anstieg war leicht, dauerte aber viel länger, wie ich ihn von unten her geschätzt hatte. Er mochte wohl eine Stunde erfordert haben. Wir kamen gerade zur rechten Zeit. Eben sank der Nebelvorhang im Süden auf wenige Augenblicke und enthüllte das ersehnte Bild: das Herz der Venedigergruppe. Das war ein überaus gewaltiger, ergreifender Anblicks Weit über alle Beschreibung! Man überblickt das Obersulzbachkees vollständig und seine ganze Bergumrahmung: Keeskogel, Klein- und Großvenediger, Geiger, Hinterer Maurerkeeskopf, Törlköpfe, Sonntagsköpfe, Südgrat der, Schlieferspitze. Gewaltig steht die Doppelgestalt des Venedigers über den weiten Firnwogen gerade gegenüber. Großartig wirkt auch der Kammverlauf des Krimmler Kammes gegen das Krimmler Törl mit vielfach geschwungenen Firnschneiden und dunklen Felstürmen. Mehr aber ließ uns der böse Nebel nicht sehen, er verhüllte vielmehr in kurzer Zeit auch das. was wir glücklicherweise noch sehen konnten, und auch wir standen auf den wild übereinander
geworfenen Gneisblöcken des Gipfels bald im kalten Dampf. Und doch muss die Fernsicht nach allen Seiten hier großartig und umfassend sein! Ich muss schon ein anderes mal, bei gutem Wetter, noch einmal hier herauf. Wir hatten nun auch, soviel der Nebel zuließ, uns unseren Berg selbst angesehen. Der Westgrat, auf welchem wir heraufgekommen waren, sowie der Südgrat waren mäßig steil und gut gangbar, nach Norden dagegen strebte der Grat in äußerst steilem Äbschwunge zur Laitbachspitze, nach Osten führte ein sehr steiler Firnhang zum Obersulzbachkees hinab, in eine gewaltige Tiefe. Zeitweise, wenn der Nebel einen Durchblick erlaubte, konnten wir am dunklen Hang unter dem mächtigen Firnmantel des Keeskogels die Kürsinger-Hütte sehen — tief unten und winzig klein. Wir stiegen nun auf dem Südgrat hinab. Das war eine unschwierige Wanderung, erst auf dem nicht sehr steilen Felskamm des Gipfels, dann auf einem Firnkamm, dann wieder auf einem Felsgrate, dessen Gestein freilich ziemlich morsch war, und der zwar nicht schweres, aber vorsichtiges Klettern erforderte. Wir hatten uns vorgenommen, noch den ersten Gratturm gegen die Sonntagsköpfe zu erklettern, einen schneidigen Felsen, den man fast einen selbständigen Gipfel nennen könnte. Er soll noch unerstiegen sein. Wir waren schon ziemlich nahe bei ihm, da fing es an zu regnen. Vom Regen und durchnäßten Kleidern bin ich aber gar kein Freund — diese Unannehmlichkeit konnte ich in meinem Beruf als Eisenbahner ohnehin genug erleiden. So verzichteten wir diesmal auf den Ruhm einer Erstersteigung und gingen an den Abstieg. Der Kamm setzt hier gegen das Schlieferkees—Krimmler Achental in einer mächtigen, ca. 300 m hohen Wand ab. Diese galt es hinunterzusteigen. Der Abstieg war nicht besonders schwer nur eine etwas heikle Stelle gab es dann — wir muhten einen Riss übersteigen, in dem ein mächtiger, glatter Quarzblock eingeklemmt war, doch eigentümlicherweise so, dass er sich wie eine Walze um seine Achse drehen ließ. Ziemlich kunstvoll schwindelten wir uns um dieses Hindernis, gelangten dann aber auf einen Felssporn, auf welchem wir leichter zum Schlieferkees hinabsteigen konnten. Noch ein Sprung über die Randkluft auf das Eis, welches in der Mittagswärme recht mürbe geworden war und das Gehen ohne Steigeisen möglich machte. Dann ohne weiteren Zwischenfall über den Gletscher, die Höhenterrasse und den Grashang hinab wieder zur Hütte, wo wir gegen 2 Uhr nachmittags ankamen.
Der Besuch der Schlieferspitze ist von der Warnsdorfer-Hütte aus eine nicht schwere Tur für einen reichlichen halben Tag. Bei guter Aussicht sehr lohnend. Ohne kundigen Begleiter ist Orientierungsgabe nötig, doch dürfte meine Beschreibung dann als Leitfaden genügen.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1926, Seite 258;
Datum erste Besteigung:
1920
Gipfel:
Schliefertürme Nordwestturm
Erste(r) Besteiger(in):
Queitsch Alfred
Unterwurzacher Johann