Südkamm

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Routen Details:
Erstbegehung im Abstieg
Die Dreiherrenspitze. 11090 W.F. Kat. 3505,3 m 3490,l m nach Milit.-Mapp.
Von Dr. Guido Freiherr v. Sommaruga in Wien.
Die Dreiherrenspitze gehört der Venediger-Gruppe an. — An der Birnlücke, 8187' Sonkl. 2587,7 m treffen die Hauptkämme der Zillerthaler- und der Venediger-Gruppe aufeinander. Westlich von ihr senkt sich jener allmälig und tief herab, östlich von ihr steigt dieser rasch und hoch empor. Die letzten Erhebungen in jenem ragen nicht mehr bis zu 10000' auf, die erstem in diesem überragen selbst 1 1000'. Die erste von ihnen, unweit der Birnlücke, ist die Dreiherrenspitze, 11090' 3505,3 m .
Von ihr setzt der Hauptkamm der Gruppe sich gegen N. 0. fort. Es folgen ihr die zweizackige Simonyspitze, 10800' 3413,6 m Keil, die drei Maurer-Keesköpfe, der Vordere, der Mittlere, 10200' 3224,0 m Keil, der Hintere, 10100' 3192,4™ Keil, der Grosse Geiger, 10450' 3303 m Sim., endlich der Gross-Venediger selbst, 11622' 3673,4 m. Jenseits dieses senkt sich der Hauptkamm. Es folgen der Klein-Venediger, noch 10999' 3476,5 m Kat., dann aber die Hohe Fürlegg, 10276' 3248 m Kat, weiter die Rothe Säulspitze, 9380' 296S m Keil, der Tauernkogel, oberhalb des Felber Tauern, 9428' 2979, 9 m. So zeichnet sich der westliche Theil des Hauptkammes vor dem östlichen durch seine höheren Erhebungen aus.
Noch mehr, als von dem Hauptkamm gilt dies von den Zweigkämmen der Gruppe. Zumal von denen im Süden. Da ist der erste der Umbalast*). Er zweigt von der Dreiherrenspitze ab. Ihm gehören der ,,Rosshuf" an, 11072' 3499,6 m Kat, (?) , die Rödtspitze, 11049' 3492,3 ,m Kat., die Daberspitze, 10700' 3182,9 m Sim , das Kleine Glockhaus, 10835' 3424,7 m Kat., die Thörlspitze, 9892' 3126,6 m Kat. — Der nächste nach Osten ist der Maurerast, zwischen Umbal- und Maurerthal. Er zweigt von der Simonyspitze ab. Die Goupachspitze, 10450' 3303 m Kat., gehört zu ihm, die Malhamspitze, 10500' 33 18,8 m Kat., der Hohe Quirl, 10280' 3249,3 m Sim. — Aber auch im Norden ist der westlichste Zweigkamm der höchste, — der Krimmlerast, zwischen dem Krimmler- und dem Obersulzbachthale. Er geht bei dem Hinteren Maurer-Keeskopf von dem Hauptkamme aus. Die Schlieferspitze, 10329' 3264,7 m Keil, der Hintere Jabachkopf, die Weigelkarspitze, 10140' 3205 m Keil, der Vordere Jabachkopf, der Foiskarkopf, 9566' 3023,6 m Keil sind seine höchsten Erhebungen. — So sind nach allen Richtungen , nach Osten, nach Süden, nach Norden mächtige, hohe Berghäupter Nachbaren der Dreiherrenspitze: von den näherstehenden keines weniger als 10000', die meisten nahe an 11000', zwei sogar über 11000' hoch. Zwischen dem Umbalast und dem Maurerast im Süden und zwischen dem Krimmlerast und dem Hauptkamme im Westen der Dreiherrenspitze breiten sich zwei grosse, primäre Gletscher aus, dort das Umbalkees, hier das Krimmlerkees. Das Firnmeer des Umbalkeeses entspringt auf der Simonyspitze, 10800' 3413,7 m, das Kees endigt im Umbaltbal in der Höhe von 6670' 2108,2 m , — bei einer Länge von 3250 Klafter 6163 m . Das Firnmeer des Krimmlerkeeses hat seinen Ursprung auf dem mittleren Maurer-Keeskopf, 10200' 3224 m , und sein Ende in dem Krimmlerthal in der Höhe von 5831' 1843 m — bei einer Länge von 2540 Klafter 4817 m**). Der Kamm, der von der Dreiherrenspitze zur Simonyspitze zieht, scheidet sie von einander. Westlich von jener erstreckt sich das Prettauerkees in das oberste Ahrnthal hinab. So sind es auch nach allen Richtungen weitausgedehnte, mächtige Gletschermassen, aus welchen die Dreiherrenspitze sich erhebt.
So steht sie da, von hohen Spitzen rings umstanden, selbst über alle sie hinausragend, von Schnee und Eis rings umgeben, in Schnee und Eis selbst eingehüllt. Im N.W. ist es das Krimmler- Achenthai , im S. W. das Ahrenthal, im S. das Umbalthal (das oberste Iselthal), in das sie abdacht. Von der Venediger-Gruppe der westliche Eckpfeiler ist sie ,,der Grenzgebieter zwischen Pusterthal und Pinzgau, der Wassertheiler zwischen Salzach, Etsch und Drau" ***), der Punkt, an dem einst die Gebiete „dreier Herren", der Grafen von Tirol und Görz und der Bischöfe von Salzburg sich von einander schieden. Es ist gewiss noch nicht lange her, dass die Dreiherrenspitze auch bestiegen wird. Und doch zeigt es sich jetzt, dass die Besteigung gar nicht so schwierig ist. Es scheint, dass die Lage des Berges hieran die Schuld trägt. Er liegt so, dass er vom Thale aus zwar im N. und W., nicht aber im S. gesehen werden kann. Im Krimmler- Achenthale, beim Weg über den Krimmler Tauern, jenseits dieses in der obersten Prettau fällt er als mächtiger Eisberg in die Augen. Eben von N. und W. aber erscheint er unzugänglich; er ist es wohl auch. Ueber das wild zerklüftete Krimmlerkees, oder über das steile Prettauerkees , über die jähen Felswände, die nach N. und W. herabstürzen, wird ihm kaum beizukommen sein. Von S. aber, vom Umbal aus oder auch von weiter draussen, vom Virgenerthale aus sieht man ihn nicht. Und eben nur von hier aus ist er zugänglich.
Seine erste Besteigung, die erste wenigstens, von der berichtet wird, soll im Jahre 1861 geschehen sein. Die Brüder Berger in Pregratten, einer von ihnen, der Andrä Berger, behaupten, dass sie schon damals oben gewesen seien. Die trigonometrische Vermessung der Gegend soll hiezu der Anlass gewesen sein. Den Aufstieg wollen sie von dem Umbalkees genommen haben. Es ist zweifelhaft, ob die Angabe richtig ist: denn es ist weder damals****) noch bis zum Jahre 1867 von dieser Ersteigung etwas bekannt geworden. Gewiss ist aber, dass die Dreiherrenspitze am 2. November 1866 erstiegen worden ist. Die die Ersteigung ausgeführt haben, waren die Pregratteuer Balthasar Ploner, der Schmied, Michael Dorer und Isidor Feldner. Sie brachen um 2 U morgens von Pregratten auf und waren um 9'' morgens, also in 7 Stunden auf der Spitze. Der Weg, den sie nahmen, führte über das Umbalkees und die Schlaitener Keesflecke. Im darauffolgenden Jahre, 1867, geschahen drei Ersteigungen in kurzen Zwischenräumen, in kaum drei Wochen. Die ersten waren — am 13. August — zwei Knechte aus lnnerrödt: Georg Rökler und Thomas Innerhofer. Sie gingen von der Sennhütte in Innerrödt aus, stiegen aber auch vom Umbalkees zur Spitze hinauf. Auf ihr errichteten sie ein hölzernes Kreuz. — Ihnen folgte — am 20. August — der Grazer Professor Dr. Ignaz Wagl. Mit ihm waren Balthasar Ploner, der Schmied, und Michael Dorer als Führer, der junge Ploner, des Schmieds Sohn, als Träger. Sie brachen am 19. August von Pregratten auf und blieben die Nacht in der Hütte im obersten Umbal. Am 20. gingen sie um 2 U morgens von der Hütte aus und waren um 7 h morgens auf der Spitze*). Am 2. September endlich wurde die Spitze von dem Verfasser dieses Aufsatzes und seinem Bruder Hugo erstiegen. — Wir waren am 1. September nach Pregratten gekommen. Unsere Absicht war auf eine Ersteigung der Dreiherrenspitze gerichtet. Wir wussten damals nur von der Ersteigung der drei Pregrattener Führer aus dem Herbste des vorhergegangenen Jahres; wir glaubten die Spitze von einem „Fremden" bisher noch nicht erstiegen. Im Steiner'schen Wirthshause in Pregratten war zahlreiche und laute Gesellschaft. Es war Sonntag Nachmittags. Auch unser alter Bekannter, der Schmied Ploner, war da. Er wollte noch diesen Nachmittag mit zwei Herren zur Johanneshütte, um am folgenden Morgen auf den Gross- Venediger zu steigen. Nach der ersten Begrüssung und Erweckung alter Erinnerungen war alsbald das Gespräch auf die Dreiherrenspitze gelenkt. Erst da erfuhren wir, das Dr. Wagl vor einigen Tagen in gleicher Absicht, wie wir, hieher gekommen sei und diese Absicht glücklich ausgeführt habe. Es war uns also schon vorgearbeitet worden. Was Ploner erzählte, war nicht geeignet, Besorgnisse zu erregen. Nicht schwieriger, als auf den Gross-Venediger — meinte er - sei es, auf die Dreiherrenspitze zu kommen. Wer auf jenem gewesen, sei auch im Stande, diese zu ersteigen. Ploner konnte nun aber unser Führer nicht sein. Er empfahl uns Michael Dorer, Isidor Feldner, Andrä Berger, die alle schon auf der Dreiherrenspitze gewesen wären. Der erstere war sogleich zur Hand; Andrä Berger stellte sich bald darauf ein. Beide waren gleich bereit, uns zu begleiten. Das Wetter war günstig. Wir beschlossen, noch denselben Nachmittag nach der Hütte im obersten Umbal aufzubrechen. Unser Proviant war bald beschafft: Schöpsenfleisch, Cafe, harte Eier, Salz und Brod, einige Flaschen Wein. Andrä Berger, der schnell sein Sonntagskleid mit dem Berggewand vertauscht, hatte alles in einen Tragkorb gepackt, Gletscherstrick und Fusseisen dazu. Um 4 h sind wir auf dem Weg. Es geht das Thal hinauf, die Isel hin, nach Bichl. In Hinterbichl ist Michel Dorer zu Hause. Er bleibt zurück, um seinen Berganzug anzulegen und seine Fusseisen mitzunehmen. Hinter Bichl öffnet sich das Dorferthal, durch das der jetzt gewöhnlich begangene Weg zum Gross-Venediger führt. Das Iselthal ist noch immer breit, die Häuser almhaft zerstreut. Der Mulwitzkopf sendet im N. seine Ausläufer in's Thal vor. Es verengt sich. Unter jenen biegen wir nach Forstlach ein. Es liegt in einem Kessel, wenige Häuser, enge beisammen auf Wiesengrund. Da öffnet sich nördlich das Maurerthal. In seinem Hintergrund ragt ans dem Maurerkeese links die Simonyspitze auf, zwei prächtig spitzgeformte Schneehäupter. Gerade vor uns steht der schneebedeckte Grossschober, 965.2' 3040,8 m. Die Isel braust wieder durch eine enge Schlucht, die wir betreten. Wir erreichen Streden, den letzten Hof im Thale : einige Häuser, einer Alm gleich auf Wiesen gelegen, in einem Kessel, einer Thalweitung. Und nun geht es stark bergan, aber stets auf gut gangbarem Steig. Auf den Rutschböden rasten wir kurze Zeit. Sie haben ihren Namen von dem Abrutschen auf den Schlitten, deren sich die Thalleute im Winter bedienen, um das Holz hinaus zu schaffen. Gegen 0. erscheint die Wuhnspitze, gegen W. das Gefalle des Kleinbaches. Wir gehen weiter. Die Wände zu beiden Seiten treten wieder zurück, ein Kessel thut sich wieder auf, in ihm liegt die Alm Pöbehl, bereits verlassen. Links fällt der herrliche Fall des Kleinbachs herab, von bedeutender Höhe, zart und luftig. Wenige Schritte und es zeigt sich der Grossbach, in drei Absätzen wild zu Thal stürzend. Am schönsten ist er von der kleinen Brücke aus, die über ihn führt, gerade vor dem Einflüsse in die Isel. Ihn hinauf gelangt man nach Defereggen. Wieder geht es stark bergan. Das Thal verengt sich neuerdings. Die Isel zur rechten rauscht im wilden Sturze über malerisch gelagerte Felsen herab. Mächtige Blöcke ragen aus dem Sturze heraus, Baumstämme darüber gelegt, die Ufer gleichen natürlichen Steindämmen, von dem wilden Wasser selbst aufgeworfen. Es ist furchtbar wild da. — Auf den Weg überhängende Felsen bilden geräumige Höhlen, Obdach für Menschen oder Vieh. Höher steigend erreichen wir die Lössen, der Lössensteg überbrückt die Isel. Es folgt wieder eine Thalweitung. Links vom Thal kommt der Zopetbach herab, aus dem Zopetkar, unterhalb des Ogorzill. Hier heisst es „in der Dössen", von dem „Getöse", das das rauschende Wasser verursacht. An der rechten Bergwand führt der Steig herauf, ein schmaler Steig, über steinbedeckte Bergwiesen. Er heisst das Täuerle. Ein Felsrücken, der von der rechten Bergwand vorspringt, die Tauritz, verengt das Thal wieder. An ihm müssen wir steil aufwärts und auf schwindeligem Wege, hoch und steil über dem Wasser, dann um den Vorsprung herum.Und wieder eine Hochmulde erschliesst sich. Der Weg, der gewöhnlich zur Umbalhütte gegangen wird, führt abwärts zum Wasser und auf einem Steg über dieses. Auf dem linken Ufer geht er fort. Der Steg war von dem tobenden Wasser weggerissen, — das hatte uns schon ein Hüter gesagt, der uns vor den Rutschböden begegnet war. Wir mussten desshalb an der rechten Bergwand bleiben. Sie ist steil, bald von lockeren Steinplatten bedeckt, bald lockeres Erdreich bietend. Ein schmaler Steig — wenn es ein solcher zu nennen — führt hoch oben hin. Dorer versichert, dass völlige Schwindelfreiheit dazu gehöre, ihn zu gehen; nicht jeder von den Leuten in Pregratten getraue sich daher. Die jenseitige Bergwand kommt der Reggen bach im steilen Falle herab. An der rechten Thalseite buchtet sich das Heinerkar aus; die Heinerlahn dacht sich in dasselbe ab. Wir nähern uns dem Wasser; eine mächtige Lawine, die eine weite Schneedecke über den Bach gebreitet hat, gestattet uns endlich weiter oben , das linke Ufer zu betreten. Wir haben wieder den kenntlichen Steig unter den Füssen. Schon öffnet sich die höchste Thalstufe, das Umbal, ringsum hohe Felsgipfel, Schnee und Eis. Gerade vor uns stehen die Axelspitze oder das Hohe Kreuz, 9900' 3129,2 m,die Daberspitze, 10749' 3397,5™, die Rödtspitze, 11040' 3489,5 m . Gleich einem schimmernden Mantel hängt von dieser das Welitzkees *****) herab. Links geht es, den Sulzbach hinauf, durch enges Pelsenthal ins oberste Defereggen. Auf schlechtem Wege, über Steine, abschüssigen Rasen, lockeres Erdreich erreichen wir endlich die Hütte: es ist finstere Nacht, 8 Uhr. Die Hütte ist kaum zu bemerken: ein niedriger Bau, keine sechs Fuss hoch, fast in den Berg hinein gebaut. Die eine Mauer an der Bergseite, eine grosse Felsplatte, die der Erbauer abgegraben hat, die andere, aus Steinen aufgeführt, das Dach aus grossen Schiefern gebildet und mit Moos belegt. Drinnen ein Feuerherd mit einer Sitzbank, eine Schlafstelle, ein Gestelle an der Wand für Geschirr und Heiligenbilder, das ganze etwa 1 1/2 Klafter im Gevierte, kaum gross genug, um nur uns vier zu fassen. — Weiter oben steht eine zweite Hütte für das Vieh, nicht grösser als die erste. Der Hüter war schon schlafen gegangen und nur mit Mühe zu erwecken. Alsbald war in der Hütte Feuer angemacht, Cafe und ein Almschmarn gekocht und so unser Abendessen bereitet. Beim letzten Schein des Feuers, die kurze Holzpfeife rauchend, blieben wir noch um den Herd sitzen bis 9 Uhr. Dann suchten wir unser Nachtlager auf. Das Bett des Hüters, ein Sack mit Stroh gefüllt, diente mir und meinem Bruder zur Lagerstätte; der harte Erdboden der Hütte den beiden Führern. Nicht einmal ein Bund von Heu war da, der über den Boden hätte ausgebreitet werden können. Der Hüter war in die obere Hütte, zu seinen Geisen schlafen gegangen.
Unsere Nachtruhe dauerte nicht lange. Schon um 2 h weckten uns die Führer wieder. Wir traten vor die Hütte: die Nacht war rein, die Sterne nur funkelten gar zu hell, und draussen im Thal zeigte sich ein Nebelstreif. Um 3 h brachen wir auf. Eine kleine Laterne, aus Pregratten mitgenommen, erhellt uns den Weg. Von der Hütte geht es an der linken Thalwand hin. Bald haben wir den Steig, der kaum kenntlich zum Kees hinführt, bald haben wir ihn wieder verloren. Schlüpfriger Rasen, weiches Erdreich, das bei jedem Tritte abrutscht, erschwert das Vorwärtskommen. Die Laterne zudem blendet bald, bald lässt sie uns in Finsterniss, einmal verlischt sie ganz. Es ist 3 h 30 m , — die Moräne des Umbalkeeses, 6670' 2108,2 m, ist erreicht. Es beginnt zu dämmern; der Himmel aber umzieht sich mit graugrünem Gewölk. Die Spitzen sind noch frei. Wir bewaffnen den Fuss mit den Eisen und betreten das Kees. Der erste Anstieg ist steil, das Kees vollkommen aper. Bald wird es ebener, aber allenthalben stark zerklüftet. Wir halten uns gegen die rechte Seite des Gletschers. Allmälig erschliesst er sich seiner ganzen Ausdehnung nach. Vor uns steigen die Dreiherrenspitze, die Sauspitze, das Eignerköpfl auf. Wo das Kees vom Hinteren Umbalthörl herabzieht, steigen wir wieder steiler aufwärts. Es ist ein ziemlich weit gestreckter Felsberg, der aus dem Kees herausragt, — stellenweise bedeckt ihn spärlicher Rasen — die Schlaitener Keesf lecke. Eine gute Strecke steigen wir sie hinauf, über Felsplatten, Gerölle, Rasen. Dann rasten wir. Es ist 5 h 30, — der Tag ist angebrochen, der Himmel stark bewölkt, doch die Spitzen ringsum frei. Das Umbalkees liegt seiner ganzen Länge nach vor uns. Im Osten zeigt sich nun auch die Simonyspitze und südlich von ihr die Goupachspitze. Hier lassen wir unsere Rucksäcke mit dem Gepäck zurück, unter Felsen verborgen. Nach kurzer Rast und Mahlzeit brechen wir wieder auf. Es ist 6 Uhr. Wir steigen noch ein Stück die Keesflecke aufwärts; dann betreten wir wieder das Kees. Es ist ein Firnfeld, das von der Schneide links******) zu dem Umbalkeesboden herabhängt und gegen N. bis zur Dreiherrenspitze selbst sich ausdehnt, stark geneigt, durchschnittlich 30°, und viel zerklüftet, die Klüfte allerdings mit einer mächtigen Lage alten Schnees bedeckt. Geradeaus sich der Dreiherren spitze zu nähern, ist unmöglich. Unterhalb der Schneide ist nicht fortzukommen, geschweige denn auf derselben. Die Steilheit und Zerklüftung des Firnfeldes sind zu gross. Wir überqueren dasselbe in nordöstlicher Richtung, bei mässiger Neigung. Worauf wir lossteuern, ist eine Schrofenwand, südöstlich vor der Drei- herrenspitze , in deren Mitte eine schmale Schneeriese zum Kees herabzieht. Um 6 : 50 Uhr haben wir die Wand erreicht. Wir wenden uns unterhalb derselben zu ihrem östlichen Abhänge. Ihn müssen wir nun hinauf, einem Abhang von bei 50° Neigung. Durch steiles Felsgeklippe, über lockeres Geröll geht es aufwärts. Stets durch das Seil verbunden, bald von dem Vordermann gezogen, bald von dem Hintermann zurückgehalten, klettern wir, mit Händen und Füssen arbeitend, von Zacke zu Zacke. Bald sind es grosse Platten, bald klein zerriebenes Gestein, die bei der ersten Berührung den Abhang hinabkollern. Kein Tritt ist sicher auf ihnen. Keiner, der dem andern folgt, ist davor geschützt, dass sie ihn an Kopf, Händen, Füssen treffen. Endlich ist auch das überwunden. Wir stehen wieder auf Kees, auf dem obersten Firnboden. Es ist 7 h 15 min . — Das Kees zieht sich allmälig zur Dreiherrenspitze hin, die jetzt zuerst unmittelbar und mächtig vor uns steht, fast ganz Firn, nur rechts steile Schrofen. Ihr zu steigen wir das Kees hinan. Wir halten uns auf einer Schneeschneide, die zu ihr hinzieht. Je näher wir ihr kommen, desto höher erscheint sie, desto steiler auch ihr Abfall. Es zeigt sich, dass dieser zu steil ist, um gerade hinaufzuklettern. Wir wenden uns daher links, um den Grat zu gewinnen, der von S.W. zur Spitze aufsteigt. Bald sind wir wieder bei Schrofen. Ueber sie geht es steil aufwärts. Aber bald und leicht sind sie überwunden. Wir stehen gerade unterhalb des Grates. Wieder Kees, diessmal aber aper und ziemlich jäh geneigt, über 40°. Dorer, der erste, muss mit dem Bergstock Stapfen machen. Deren zehn genügen, um die Höhe des Grates zu erreichen. Wir sind über die Stelle schnell hinweg. Dann zieht sich der Grat in allmäliger Steigung fort; der Schnee dazu erleichtert das Steigen. In wenigen Minuten sind wir auf der Spitze. Es ist 8 h 30 min .
Sie ist ein Schneegupf, nach allen Seiten jäh abfallend, und von diesem nur durch eine enge Felsscharte getrennt eine Felsspitze, ebenso steil und schroff. Auf jenem steht ein hölzernes Kreuz, auf dieser ein kleines „Steinmandl". Das Kreuz haben die Burschen aus Innerrödt, die am 13. August desselben Jahres heraufgestiegen waren, das „Steinmandl" die Pregrattener Führer bei ihrer Ersteigung am 2. November des vorhergegangenen Jahres errichtet. Die Felsspitze ist zwar so klein und so zerklüftet und zerrissen, dass wir uns dort kaum niederlassen konnten. Ein ziemlich starker Wind, der aus N. 0. kam, zwang uns aber, die Schneespitze zu räumen. Wir kletterten den schmalen Grat hinüber und suchten an dem südlichen Abhänge der Felsspitze, vor dem Winde geschützt, einen Platz zum Sitzen. Dorer und Berger schafften den Korb mit unserm Proviant herüber, und bei spärlicher Mahlzeit war bald der Gedanke an die überstandenen Beschwerden entschwunden. Umsomehr war unsere Aufmerksamkeit der prachtvollen Rundsicht zugewendet, die uns allenthalben umgab. Das Wetter war recht günstig. Die Sonne war zwar noch immer hinter Wolken verborgen; die Aussicht aber war dennoch rein und einzelne der ferneren Spitzen zudem von der Sonne schön beleuchtet. Zu unseren Füssen gegen S. und 0. breitet sich das Umbalkees weit aus, von der Simonyspitze herab bis zu dem Hinteren Thörl. Aus dem Kamme, der das Kees im 0. begrenzt, ragt die Goupachspitze und die Malhamspitze auf. Von jener reicht der östliche Zufluss des Umbalkeeses mächtig herab. Zwischen beiden leitet die vergletscherte Goupachscharte*******) von dem Umbalkees zur Maureralm. Aus dem Kamme im W. des Keeses erhebt sich hoch empor die Sauspitze ********) mit steilen Abfällen gegen das Umbal wie gegen die Prettau. Ihr folgt die Depression der beiden Thörln, die das Eignerköpfl von einander scheidet. Im S. öffnet sich der Blick das Welitzkees hinauf, das in breiter Ausdehnung von N. W. gegen S. 0. sich erstreckt. Ueber ihm ragen das Hohe Kreuz, die Daberspitze und die Rödtspitze auf, die letzte zumal schön geformt, mit prächtigem Schneepanzer behangen, höher als die andern. Zu unseren Füssen nach N., tief, fast senkrecht unter uns ist es das Krimmlerkees, das wild zerklüftet und gespalten sich ausbreitet, von dem Sonntagskopf und der Schlieferspitze rechts, von dem Grossleitenkopf links überragt. - Zu unseren Füssen im N. das Prettauerkees, gegen das oberste Ahrnthal verlaufend. Gegen N. 0. zieht sich der Hauptkamm der Venedigergruppe hin. Die Simonyspitze, die Maurerkeesköpfe, der Grosse Geiger, endlich der Gross-Venediger selbst, das Rainerhorn erheben sich aus ihm. Es ist ein Kamm, fast ununterbrochen mit Schnee überdeckt, Firnhänge und weitausgedehnte Gletscher nach S. und N. entsendend, — eine Gletscher landschaft von grossartiger Schönheit. Ueber die nächste Umgebung hinaus schweift der Blick zu der Reichenspitz- und Zillerthaler-Gruppe, zu den Rieserfernern und den Dolomiten südlich des Pusterthaies, in weiterer Ferne zu den Fernern der Oetzthaler- und Stubaier-, der Ortler- und Adamello-Gruppe ; auf der nördlichen Seite zu den Kalkalpen nördlich der Salzach und des Inn. Von alle dem aber war uns manches von den Wolken verhüllt. Es scheint mir desshalb besser eine ausführlichere Schilderung der Aussicht zu unterlassen. So viel aber kann ich versichern, dass die entferntere Rundsicht derjenigen von dem Gross-Venediger kaum nachsteht, zumal Zillerthaler- und Rieserferner sind von der Dreiherrenspiize geradezu prachtvoll zu sehen. Die Venediger-Gruppe ist von dem Gross-Venediger besser zu überblicken : sie erscheint dort grossartiger und vollständiger. Während unseres Aufenthaltes auf der Spitze war es sehr kalt geworden. Wir froren empfindlich. Wir zeichneten noch rasch unsere Namen in ein Holztäfelchen ein, das unter den Steinen des ,, Mandl" verborgen war, und verliessen 9 h 45 min. den Berg. Unsere Führer wollten versuchen, von der Spitze gerade hinab auf den oberen Firnboden zu steigen, — da, wo wir nicht gewagt hatten, heraufzusteigen, weil es uns zu steil ausgesehen hatte. Bei ihren vorangegangenen Ersteigungen hatten sie auch im Abstiege den Umweg über den Kamm gemacht, der oben beschrieben ist. Ob auf dem andern Wege auch hinabzukommen wäre, hatten sie noch nicht erprobt. Trotzdem unternahmen wir es.
Es ist ein Felsenabhang, über 50°, an manchen Stellen bis 60° geneigt, mit klein geriebenem und lockerem Gestein bedeckt. Wir waren durch den Strick verbunden, Dorer voran, Berger hintennach. Alle Beschwerden, die wir beim Heraufsteigen über die Schrofenmauer unterhalb des oberen Firnbodens erfahren hatten, zeigten sich nun in doppeltem Masse, die Steilheit war fast noch grösser hier als dort, und dann ging es abwärts. Auch hier wieder kein Tritt sicher auf dem locker aufliegenden Gestein , kein Theil des Körpers geschützt vor den unter den Füssen der höherstehenden abstürzenden Steinen, kein anderer fester Stützpunkt als die scharfen Kanten der Felsen, zwischen denen wir uns durchwinden mussten. Dazu gerade vor uns jäh hinab der Blick auf das tiefer unten liegende Firnfeld ! Zurück aber können wir nicht mehr. So müssen wir denn hinab. In etwa 25 Minuten sind wir drunten auf der Schneescheide, die zu der zweiten Schrofenwand hinführt. Auch über diese müssen wir nun hinab, mit gleichen Beschwerden und gleichen Gefahren, wie jene unter der Spitze geboten hatte. Endlich ist auch das hinter uns. Das Umbalkees liegt wieder vor uns. Der Schnee ist zwar etwas erweicht, doch nicht so, dass er uns hinderte. Wir folgen unseren eigenen Fussspuren. Um 11 Uhr 30 min. sind wir wieder bei den Keesflecken. Da wo wir unsere Rucksäcke versteckt hatten, rasten wir kurze Zeit. Das Keeswasser, das nun allenthalben die Wände herabrieselt, gewährt reichlichen Trunk. Um 12 Uhr brechen wir wieder auf. Wir steuern dem Hintern Umbalthörl zu. Hinauf — hinab, über Felsplatten und Rasenhänge geht es dem Kees zu, das das Hintere Thörl überdeckt. Es ist steil, fast ganz aper, häufig von Klüften gespalten, deren breiteste gerade das Thörl der Länge nach theilt. In Kurzem — 12 Uhr 30 min. — sind wir bei diesem; bald auch jenseits desselben wieder auf Felsboden. Hier lagern wir beim letzten Rest unseres Proviantes, im Anblicke des Hochthaies, das zur obersten Prettau niederführt und der Berge des Zillergrundes, die hinter ihm sich aufthürmen. Hinter uns steht majestätisch die Rödtspitze. Bevor wir uns wieder aufmachen, verstecken die Führer unter Felsen ihre Tragkörbe mit Strick und Eisen, um sie Tags darauf bei ihrem Heimwege wieder mitzunehmen, und schnallen unsere Rucksäcke selbst auf den Rücken. Um 1 Uhr 45 m geht es wieder weiter. Das Kees, neben dem wir auf Felsen hinabsteigen, endigt bald. Das Windbach thal führt uns dem Ahrnthale zu. Es ist öd, leer. Einzelne Schneeflecken lagern im Thale oder hängen an den Thal wänden herein, steinbedeckte Wiesen erfüllen es sonst, und zahlreiche Bäche ergiessen sich allenthalben in den Grund des Thales. Um 3 h 45 min. sind wir in Käsern, in der obersten Prettau. Die Dreiherrenspitze mit ihren Reizen, ihren Beschwerden und Gefahren lag hinter uns. Es waren Tage gerade so, wie man sie zu einer Gletscherfahrt sich wünschen mag. DieWolken hatten nns vor den Strahlen der Sonne und ihrem grellen Reflex geschützt, hatten den Schnee vor dem Weichwerden bewahrt. Und doch hatten sie keinen Gipfel um uns her berührt, kaum die entferntere Aussicht etwas getrübt. Das Kees war meist mit Schnee bedeckt, der Schnee selbst meist hart. Unsere Führer*********) endlich waren der Gegend vortrefflich kundig, vorsichtig und doch entschlossen. So war alles auf das Beste von Statten gegangen, ohne Unfall, ohne Entmuthigung, ja auch ohne besondere Ermüdung. Die beiden Tage aber waren auch reich gewesen an herrlichen Landschaftsbildern, an grossartigen Naturscenen. Schon der Weg durch das oberste Iselthal in das Umbal ist so voll von mannigfachem Wechsel der Scenerie: jetzt ein enges Felsenthal mit wildem Steingetrümmer und brausendem Wildbach; dann ein offenes Hochthal mit weiten Wiesengründen, hereinhängenden Schneefeldern, luftigen Wasserfallen; — das oberste Umbal selbst, so wild und grossartig mit den engeinschliessenden, hochaufstrebenden Felswänden der Rödtspitze, der Daberspitze, des Hohen Kreuz, den im Thalgrund ausgebreiteten Lawinen, dem blinkenden Welitzkees ; — das Umbalkees mit seiner weiten Ausdehnung, mit den hohen Eisbergen ringsum; — und vollends die Dreiherrenspitze selbst mit der weitreichenden Aussicht über Schnee und Eis hinab in die stillen Thalgründe, hinaus in die weite Ferne!
*) Wir folgen Simony, der der bequemeren Bezeichnung wegen die einzelnen Gebirgsäste der Venediger-Gruppe nach demjenigen Thale benannt, dessen rechtsseitige Begrenzung sie bilden. Vgl. den Aufsatz „aus der Venediger-Gruppe" im Jahrb. des Oesterr. Alpenvereines I. Band S. 1 ff.
**) S. den Aufsatz von Franz Keil „ein Beitrag zur Kenntniss der Venediger-Gruppe" im Jahrb. des Oesterr. Alpenvereines Band II S. 184. Der Aufsatz diente zugleich als Erläuterung der vortrefflichen Höhenschichten-Karte der Venediger-Gruppe, die dem Jahrbuche beiliegt.
***) Schaubach, Deutsche Alpen II. S. 131.
****) Verf. selbst war im Herbste 1861 in Pregratten, von wo derselbe den Gross- Venediger erstieg, und kann versichern , dass ihm von einer Ersteigung der Dreiherrenspitze nichts erzählt wurde.
*****) Es scheint, dass der Name „Welitz" nur dem Keese beizulegen ist, nicht auch der Spitze. Dorer versicherte mich, man nenne nur das „untere" Welitz. Auch die Etymologie, die Simony a.a.O. S. 12. Anm. 1 gibt, spricht dafür. Denn die Spitze zeigt, zumal gegen das
Umbalthal, fast nur schneefreien Fels.
******) Keil nennt dieselbe „Allarschneide" ; nach Wagl a. a. 0. soll sie „Lanaschneide" heissen ; nach dem jenseits, gegen Prettan gelegenen „Lanakees". Ich kann bestimmt versichern, dass auf der Pregrattencr Seite keiner dieser Namen bekannt ist. Ob auf der Prettauer Seite, habe ich nicht in Erfahrung bringen können
*******) So wird in Pregratten der Gletscherpass genannt, den Keil auf seiner Karte als „Reggenthörl" verzeichnet.
********) Die Spitze, die in Pregratten und das Iselthal herauf so genannt wird, entspricht wohl dem „Rosshuf", der auf Keil's Karte und in vielen Beschreibungen der Gegend vorkommt. Wenigstens weist der Kamm des Gebirges hier nur diese eine Erhebung auf. Dass der letztere Name den Pregrattenern unbekannt ist, kann ich bestimmt versichern. Ob er etwa von den Prettauern gebraucht wird, weiss ich nicht. — Die Katastermessung des angeblichen „Rosshuf" mit 11072' 3199,5™ ist sicher viel zu hoch gegriffen. Die Dreiherrenspitze überragt denselben um mehrere 100 Fuss. Vgl. übrigens schon Keil a.a.O. S. III.
*********) Einer derselben, Michael Dorer ist im August 1868 an der Lungenentzündung gestorben.
Quelle: Zeitschrift des DÖAV 1872, Seite 12
Datum erste Besteigung:
02.09.1867
Gipfel:
Dreiherrnspitze (Picco dei Tre Signori)
Erste(r) Besteiger(in):
Berger Andreas "Andrä"
Dorer Michael (Führer aus Prägraten)
Sommaruga Guido von Freiherr (Wien)
Sommaruga Hugo v.