Nordwestlicher Hängegletscher

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Routen Details:
Dr. Vict. Hecht (in Prag), Dreiherrenspitze und Simonjspitze mit neuem Absteig auf das Krimmlerkees. Zillerplatte und Hörndl joch.
Am 22. Juli 1877 brach ich mit Stefan Kirchler, gegenwärtig einer der ersten Führer Tirols, 3 U. Nachmittags von Steinhaus auf; bei wolkenlosem Himmel und glühender Hitze wurde das landschaftlich interessante aber schattenlose Ahrnthal durchwandert. 5 U. 15 passirten wir St. Valentin, dessen Gasthaus dem eine halbe Stunde thaleinwärts liegenden Kasern in jeder Hinsicht vorzuziehen ist, und setzten um 6 U. unseren Weg zur untern Keheralm fort, die wir 7 U. 45 erreichten. Die verhältnissmässig gut eingerichtete Sennhütte bietet den Besteigern der Dreiherrenspitze ein angenehmes Nachtquartier. 4 U. Morgens erfolgte der Aufbruch; der Weg führt nach Ueberschreitung des Baches über eine unbedeutende Thalstufe zur oberen Alm, 20 Min., dann an der östlichen Berglehne in weiteren 40 Min. zum Quelle: Zeitschrift des DÖAV 1878, Seite 244Lanagletscher, deslen verschneite Klüfte uns bald zur Anlegung des Seiles zwangen. Nach zweistündiger bequemer Firnwanderung erreichten wir um 7 Uhr den Fuss des Hauptkamms, dessen steiler, über 45° geneigter Hang seinerzeit Harpp recht, der den von uns benützten Weg vor mehreren Jahren eröffnet hat, zu zeitraubendem Stufenhauen gezwungen hatte. Wir dagegen fanden so reichlichen Schnee, dass einige Dutzend Stufen genügten, die einzige schneefreie Strecke zu passiren. 7 U. 45 auf dem breiten, das Ahrnthal vom Umbalthal scheidenden Hauptkamme (Altarschneide N.M.-M.) angelangt, begegnete ich daselbst zu meiner angenehmen Ueberraschung Herrn Faschingbauer aus Wien, der mit dem Prägratner Führer Mariacher soeben die Dreiherrenspitze von der Clara-Hütte aus bestiegen hatte, und wieder dahin zurückkehrte. Zehn Minuten später standen wir auf dem Gipfel (3499 m), der in senkrechten Felswänden gegen das Krimmlerkees abstürzt. Die Aussicht fand ich nicht so undankbar, als sie von Anderen geschildert wird. Die wenig bekannte Reichenspitz-Gruppe, die ausgedehnten Gletscher der Venediger-Gruppe, vor Allem das mächtige Umbalkees gegen S., der grauenerregende Blick auf das in ungeheurer Tiefe gegen Norden ziehende, zerborstene Krimmlerkees, verbunden mit dem vollständigen Ueberblick der nördlichen Kalkalpen und der nur durch das Massiv des Grossvenediger beschränkten Fernsicht, deren Grenzen die in scharfen Conturen vom Horizonte sich abhebenden Grintouz und Terglou einerseits, Adamello und Pressanella andererseits bilden, empfehlen die Dreiher renspitze in erster Linie für jene, welche die Röthspitze schon kennen. Uebrigens ist die Besteigung der Dreiherrenspitze ebenso leicht und kurz, als die der Röthspitze und jedenfalls interessanter. Sehr hübsch präsentirt sich von unserem Gipfel die Malhamspitze, die ich — wohl zuerst — im Jahre 1873 über das Umbalkees erstiegen und als eine der dankbarsten und leichtesten Hochtouren kennen gelernt hatte. Nach einstüudiger Rast traten wir den Abstieg an; ursprünglich hatten wir beabsichtigt, über das Prettauer Kees die Birnlucke 2672 m oder wo möglich einen zwischen dieser und dem Gipfel der Dreiherrenspitze gelegenen höheren Punkt zu erreichen, der den Uebergang auf das Krimmlerkees ermöglicht hätte ; denn der directe Abstieg ist, wie sich die früheren Besteiger der Dreiherrenspitze überzeugt haben, absolut unmöglich ; es wären vielleicht einige Hundert Fuss der obersten Felsen zu bewältigen, weiter unten aber kommen senkrechte Wände. Auch von der nächsten Kammerhebung, dem namenlosen Gipfel zwischen der Dreiherrenspitze und der Westlichen Simonyspitze ist der Abstieg auf das Krimmlerkees kaum ausführbar; dagegen sah die schön geformte Westl. Simonyspitze so einladend herüber, dass wir unseren ursprünglichen Plan änderten, und derselben einen Besuch abzustatten beschlossen. Erst dort musste es sich entscheiden, ob wir dem berüchtigten Grat zur Oestlichen Simonyspitze folgen und jenseits der letzteren, oder schon von dem westlichen Gipfel auf das Krimmlerkees abzusteigen hatten. Um 9 U. 12 hatten wir die Dreiherrenspitze verlassen; schon eine Viertelstunde später kletterten wir über steile Felsen auf das oberste Umbalkees herab, traversirten, um möglichst wenig an Höhe einzubüssen, den Südabhang des obenerwähnten namenlosen Gipfels zwischen mächtigen Klüften hindurch und gelangten um 10 U. 55 auf den das Simonykees, resp. Maurerthal vom Umbalferner scheidenden Firnrücken, dessen südliche Erhebungen, Goubachspitzen und Malhamspitze, in schroffen Felswänden in das Maurerthal abstürzen. Nach einer Viertelstunde wurde der Hauptkamm und um 11 U. 26 der Gipfel der Westlichen Simonyspitze 3480 m betreten, der bei der geringen Entfernung von der höheren Dreiherrenspitze wenig Neues bietet. Interessant ist der lange, an einigen Stellen von Felsköpfen durchbrochene Grat, der zur Oestlichen Simonyspitze führt.
Die drei Maurerkeesköpfe der Specialkarte zu enträthseln, gelang mir leider nicht. Der erste scheint mit der Oestlichen Simonyspitze identisch zu sein; der Letzte nach der Zeich- nung der Karte mit dem Schwarzen Kopf 3308 m zusammenzufallen. Ob sich die Höhenzahl 3245 m auf den mittleren Kopf oder auf ein Joch beziehe, ist nicht zu entnehmen, ersteres wahrscheinlicher, da eine jenseits der Oestlichen Simonyspitze befindliche Depression bei weitem niedriger sein muss; diese Depression bietet einen verhältnissmässig guten Abstieg auf das Krimmlerkees, was für Jene, die im gleichen Falle den Umweg über Maurerthörl und Krimmlerthörl 2828 m vermeiden wollen, angeführt werden mag. Wir gaben dem directen Wege ohne weitere Ueberlegung den Vorzug. Steffel hatte schon beim Aufstieg auf einen vom
westlichen Fusse des letzten Gipfels gegen das Krimmlerkees vortretenden Firnhang, als die einzige Stelle, wo die schroffen Felsmauern nicht bis an den Kamm emporreichen, hingewiesen und erklärt: „Da müssen wir hinab. u Neu war der Weg, Zeit hatten wir genug, um im Falle des Misslingens über die Simonyspitze zurück noch die Clarahütte zu erreichen, und so wurde denn ohne weiteres diese Stelle zum Ausgangspunkt einer Wanderung gewählt, die unter weniger günstigen Verhältnissen wohl kaum gelungen wäre. Um 12 U. 8 erfolgte der Abmarsch vom Gipfel, 2 Min. spater verliessen wir den Hauptkamm und traten auf den pfeilerartig gegen N. vorspringenden Firnrücken hinaus. Die anfangs mässige Neigung stieg nach wenig Schritten auf 62° (Klinometermessung), und hätten wir wohl schon hier umkehren müssen, wenn nicht eine starke, solide Firndecke geholfen hätte. Wir mochten einige 100' zurückgelegt haben, als uns die Situation zu einer ernsten Besprechung zwang. Wir waren an einem plateauartigen Vorsprung der Wand angelangt. Links und rechts von diesem Plateau, das selbst wieder beiderseits mit senkrechten Firnhängen auf die Hauptwand abstürzt, zieht der mehr als 60° geneigte Hang des Hauptkammes herab, auf der linken — westlichen — Seite überdies durch Klüfte und senkrechte Terrassen unterbrochen. Die prächtige Firndecke, die bisher so gute Dienste geleistet, hatten Lawinen fortgerissen, deren Reste aus der ungeheuern Tiefe heraufdrohten, ohne dass man ihre Bahn übersehen konnte. Wir hatten ein vorzügliches Seil von 60' Länge, aber nur einen Eispickel ; an der steilen Eiswand voranzugehen und Stufen zu hauen, wie Steffel mir anfänglich zumuthete, war nicht gut durchführbar, dazu reichte meine Kraft nicht im entferntesten aus; ging Steffel voraus, so war für mich das Nachkommen sehr misslich, da ich im Falle eines Ausgleitens, was bei der Ungeheuern Neigung und dem Mangel des Eispickels im Bereiche der Möglichkeit lag, von Steffel nicht nur nicht gehalten werden konnte, denselben vielmehr mit in die Tiefe reissen musste ; doch Steffel war um einen Ausweg nicht lange verlegen; er liess mich an dem aufgerollten Seil über den linksseitigen Absturz des Firnplateaus soweit frei herab, bis ich an dem Hauptabhang selbst auf einem von der Lawine zurückgelassenen Firnklumpen, wenige Fuss über einer breiten Kluft Fuss fassen konnte, band sich sodann vom Seil ab und stieg die Hauptwand unter beständigem Stufenhauen herab, bis er links von mir in gleicher Höhe angelangt, mich holen konnte : dass inzwischen meine Lage nicht angenehm war, namentlich so lange Steffel gerade über mir das Eis loshieb, das mich auf Kopf und Schultern traf, ist begreiflich ; was aber mein wackerer Führer bei dieser und einer ähnlichen Stelle leistete, die wir bald darauf passirten, habe ich selten von einem anderen Führer erreichen, noch nie aber übertreffen gesehen. Eine Zeit lang ging es nun ziemlich gut, nur der Donner der abgehenden Lawinen, der zeitweilig die allgemeine Stille unterbrach, machte unsere Wanderung etwas unheimlich. Bald jedoch stellte sich uns ein zweites Hinderniss entgegen, das ohne Steffels Bravour uns doch noch zur Umkehr gezwungen hätte. Ein zweiter Eishang, der mit einer mehrer Klafter hohen vollkommen senkrechten Wand endete, musste passirt werden. Am Fusse der Wand zog eine Kluft entlang ; parallel mit derselben, wenige Schritte entfernt, eine zweite. Hier liess mich Steffel auf den mässig geneigten Sattel zwischen den beiden Klüften herab, hieb Stufen, so lange es überhaupt giug, und sprang über den letzten senkrechten Theil der Wand über die erste Kluft hinweg auf den Sattel herab, wo er, von mir gefasst, knapp vor der zweiten Kluft anzuhalten vermochte. Bis hieher hatten wir 1 3 /4 Stunden gebraucht. Durch das nun folgende Labyrinth von Klüften mussten wir durch, da uns der Rückweg abgeschnitten war. Diese Wanderung war weder leicht noch gefahrlos, gegen die früheren Passagen jedoch eine wahre Erholung. 3 1/2 U. standen wir am Ende des Gletschers, 2 Stunden später an der Schwelle des Tauernhauses 1621 m, das wir in einem ziemlich derouten Zustande betraten. Kirchler klagte über furchtbare Augenschmerzen, — er trug bis damals keine Schneebrille — ich hatte einen unbedeutenden Schmerz am rechten Fusse, den ich schon Tags zuvor gefühlt, bei der Aufregung unserer Tour nicht beachtet, den Fuss nicht geschont, wohl auch nicht schonen können und konnte kaum gehen. Als der Morgen anbrach, war Steffel vollkommen schneeblind, ich halb lahm. Dennoch schleppten wir uns mühsam in dem bei dem Tauernhaus mündenden Reinthal fort. Als wir um 6 Uhr, nach 2 1/4 stündigem Marsche vor dem Reinbach-Gletscher (Rambach N. M-M.) standen, der mächtige Kamm, welcher von der Reichenspitze 3294 m über die Zillerspitze 3687 m zur „Zillerscharte" (richtiger Zillerplatte 3121 m) zieht, vor uns lag, und wir den schroffen Gipfel der Reichenspitze und die ausgedehnten Firnfelder erblickten, die uns von letzterem noch trennten, mussten wir uns gestehen, dass eine Fortsetzung unserer beabsichtigten Tour in unserem Zustande ein sträflicher Leichtsinn gewesen wäre.
Wir mussten trachten, auf dem kürzesten Weg iu's Zillerthal zu gelangen, überdies mit Rücksicht auf Kirchler so lange als möglich im Schatten zu bleiben. Aus letzterem Grunde mussten wir darauf verzichten, eine der Scharten welche die zahlreichen isolirten Felsköpfe zwischen Reichenspitze und Zillerplatte von einander trennen, zu überschreiten und zogen vor, an den Firnhängen des zwischen Rein- und Windbachthal zur Zillerplatte ziehenden Kammes emporzusteigen, wo uns die Sonne noch lange Zeit verschonte. Um 7 U. 55 wurde dieser Seitenkamm, nach halbstündiger Rast um 9 U. 7 der nördliche Gipfel der Zillerplatte betreten, jener Punkt, der auf der Specialkarte als Zillerscharten mit 3121 m bezeichnet ist, falls diese beiden Daten zusammengehören. Eigentlich ist der gemessene Punkt, auf welchem wir uns jetzt befanden, keine scharf markirte Spitze, sondern der Anfang eines schmalen, beiderseits schroff abstürzenden Felsgrates, der in nahezu gleicher Höhe mehrere 100 Schritte weit gegen S. zieht und in dem als Zillerplatte bezeichneten Punkte der Karte culminirt. Dem Felsgrat, dessen vollständige Ueberkletterung ein mühsames Stück Arbeit ist, folgten wir 20 Min. lang und stiegen dann aufs Gerathewohl auf der Zillerthaler Seite über schroffe, brüchige Wände, die uns mehr zu schaffen machten als die Reichenspitze selbst gethan hätte, auf den kleinen namenlosen Gletscher ab, der dem Kamm gegen W. vorgelagert ist.
Die Kuchelmoosalm (12 U. 50) bot uns willkommen Anlass, unsere Kur fortzusetzen und Siesta zu halten; zwei weitere Marschstunden brachten uns um 3 Uhr in das Jagdhaus in der Au 1229 m, das billige Verpflegung, freundliche Aufnahme und gutes Heulager bietet, mit dem Krimmler Tauernhaus in jeder Beziehung im wohlthuendsten Contrast steht, und allen Besuchern des Zillergrunds auf das Wärmste anempfohlen werden kann. Zu meiner grössten Freude brach Abends ein Landregen an, der auch den nächsten Tag, 25. Juli, als wir über das bequeme aber langweilige Hörndljoch (2548 m) nach St. Jacob und Steinhaus wanderten, nicht einen Moment nachliess. Dieser Gang über das Hördljoch ist die trübste Erinnerung, die ich in den 11 Jahren meiner Bergtouren zu verzeichnen habe. Mein Fuss hatte sich so verschlimmert, dass ich mir noch heute nicht erklären kann, wie ich überhaupt bis Steinhaus kam, von wo uns ein Einspänner nach Taufers brachte. So hatte die Partie, die unter so günstigen Auspicien begonnen, kläglich geendet.
Quelle: Zeitschrift des DÖAV 1878, Seite 244-250

Erste Begehung im Aufstieg durch I. Hechenbleikner und E. Franzelin am 12.7.1905;
ÜBER DIE NORDWAND AUF DIE WESTLICHE SIMONYSPITZE (J. H.)
Frühzeitig ward es am 12. Juli 1904 in der Warnsdorfer Hütte lebendig, da nützte kein Oh! und Ah!, kein noch so faules Umdrehen, wir mußten aus den warmen Decken und dem wachenden, sonnigen Morgen schlaftrunken ins Auge blicken. Auf der Dreiherrenspitze und Simonyspitze malten bereits die Sonnenstrahlen glutrote Flecken, als wir endlich über den Moränenschutt zum Krimmlerkees anstiegen. Gewaltig schön ist das zerklüftete Kees, wie es in mächtigen Eiskaskaden von den Simonyspitzen herabwallt. Die Westliche Simonyspitze über die Nordwand zu erreichen, war heute das Ziel unseres Sehnens. Dieser Aufgabe galt unsere Kraft. Einem Schlendern kam wohl unser Gang gleich über das gemütliche, anfangs wenig zerklüftete Kees. Wir erzählten uns die Erlebnisse der Woche, wunderten uns über die starke Ausaperung des Ferners und umgingen sorglos allzu gastlich offene Spalten. Ein Gletscherbruch brachte Abwechslung in das Einerlei und rüttelte die Lebensgeister zu energischem Handeln wach. Franzelin war glücklich auf einen Eisrücken hinaufgestiegen und thronte nun mit bekümmertem Gesicht zwischen drei tiefen Spalten. Ich hielt mich daher im Grunde der gutmütigsten dieser drei Klüfte, konnte ihr, auf schmalem Eisgrat rittlings vorwärtsrutschend, zum Schlüsse über eine gestufte Eiswand entrinnen und Franzelin durfte dann, von mir versichert, den Sprung von seinem Einsiedlerblock über die Kluft wagen. Jetzt gebärdete sich der Gletscher wieder weniger wild, ebene Böden, schwach geneigte Hänge, auf denen verstreute Eistrümmer und Lawinenreste lagen, leiteten uns zum Fuße der Nordwand hin. Zunächst führte ein steiler Eisbuckel in den düsteren Winkel zwischen Simony- und Umbalspitze hinein. Geborstene Eisblöcke zeugten vom Leben des Eisbruchs über uns. Wir hätten nun am besten über den Eisrücken links zur Spitze stufenschlagend ansteigen können; um aber die Eintönigkeit zu vermeiden, suchten wir uns lieber außen durch den Bruch durchzuhauen. Der erste Absatz ließ sich unschwierig umgehen, nur wenig Eisstufen waren nötig, die scharfen Steigeisen gewährten ohnedies einen guten Halt. Der zweite Abbruch gab ein anderes Stückchen zu lösen. Bis zu einer Nische ging's ja herrlich, aber eine doppelt mannshohe, oben überhängende Eiswand stellte sich in den Weg. Einige Stufen für Füße und Hände, dann geht es bis unter den Überhang. Ein Loch im Eis erlaubt mir, die ganze Hand hineinzustecken, mit der andern führe ich den Pickel und haue mit Mühe und Not zwei Griffe ober dem Überhang. Nun will ich's probieren, mich drüberzuschwingen, aber leider bricht der Pickel aus; rasch drehe ich mich um und springe in die Nische zurück. Nochmals gehe ich's an, haue eine bessere Stufe und ramme den Pickel fester ein. Lustig gelingt der Schwung. Während ich Stufe für Stufe hacke, gibt's ein fürchterliches Tosen über mir, das Eis scheint zu beben, rechts drüben donnert die Gratwächte der Umbalspitze auf das Kees herunter. Das Seil war zu Ende, in einer Querspalte fand ich guten Halt und Franzelin kam nach. Verständigen und sehen konnten wir uns gegenseitig nicht. Die lautesten Rufe meines Genossen drangen nur als undeutliches Gemurmel zu mir. Zweimal versuchte Franzelin den Überhang mit den zwei Rucksäcken zu bewältigen, es gelang ihm aber nicht; erst als die Säcke aufgeseilt waren, konnte er die Stufe bald bezwingen. Dann nahm die Hackerei wieder ihren Fortgang, bis festhaftender Firn leichteres Kratzen und Treten von Stufen erlaubte. Franzelin ging nun voraus. Ein Firngrat lief auf ein kleines, ebenes Feld aus, und plötzlich sperrt uns eine wohl 50 m tiefe, sehr breite, von der oberen Seite um vielleicht 20 m überhöhte Spalte den Weiterweg. Zum Glück gelang es uns, links über eine steile Brücke die Kluft zu übersetzen und droben um eine luftige Ecke den darüber befindlichen Hang zu erreichen. Es bereitete uns hohen Genuß, so frei und sicher in selbstgeschaffenen Tritten über dem Abgrund zu schweben. Ein langes Firnfeld und ein langer, schmaler Firngrat bezeichneten unseren weiteren Anstieg. Die Gipfelrandkluft und der blauschillernde Eishang oberhalb gaben Franzelin noch reichliche Pickelarbeit. Freudig ließen wir uns darnach auf dem Gipfel der Westlichen Simonyspitze zur verdienten Rast nieder. Neun Stunden waren seit unserem Aufbruch von der Warnsdorfer Hütte verflossen. Die Nachmittagssonne brannte glühend auf die schimmernden Ferner in der Runde. Sengend spendete sie uns ihre Glut, in der die Wolken, die vom Tal heraufzogen, duftig in Nichts zerflossen. Hochbeglückt und um ein herrliches Erlebnis in unseren hehren Alpen reicher, kehrten wir nach langem Schwelgen aut der Höhe endlich wieder in die tieferen Regionen zu den Menschen zurück.
Quelle: Zeitschrift des DÖAV 1908, Seite 308 ff
Datum erste Besteigung:
22.07.1877
Gipfel:
Simonyspitze Westliche
Erste(r) Besteiger(in):
Hecht Victor von
Kirchler Stephan