Nordgrat

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Routen Details:
Wilde Leck (3358m). Erste. Ersteigung über den Nordwestgrat, erste Traversirung.) Spitze nordwestlich und Spitze westsüdwestlich von der Wilden Leck (3253m). Am 10. September. Mit Moser ab Amberger-Hütte 5 Uhr 28 min. früh. Rast auf der westlichen Seitenmoräne des Sulzthaler Ferners 7 Uhr 15 min. - 7 Uhr 52 min. Über den kleinen, ziemlich stark zerklüfteten Gletscher nordöstlich von der Wilden Leck, der am passendsten als Wilde Leck-Ferner anzusprechen sein dürfte, in südwestlicher Richtung in die Höhe. Rast auf der obersten Terrasse des Gletschers 8 Uhr 45 m — 8 Uhr 52 m. Nun in westlicher Richtung über eine Randspalte und einen leichten Felshang auf die Grateinsenkung zwischen der Wilden Leck und einer kleinen, unbedeutenden, durch ihre rothe Färbung auffallenden Felsspitze, für die ich einen Namen nicht ermitteln konnte. Die Einsattlung ist durch eine Steinfigur gekennzeichnet. An 9 Uhr 10 min. Um uns einen guten Überblick über den Nordwestgrat der Wilden Leck zu verschaffen, erstiegen wir vorerst die kleine Felsspitze über plattige Felsen in 15 Min. von der Scharte aus. Vermuthlich Erste Ersteigung. Ab Gipfel 9 Uhr 35 m. 9 Uhr 45m standen wir wieder in der Scharte und griffen nun ungesäumt den Nordwestgrat an. Im Anfang hält man sich an der linken (Ost-) Kante, dann traversiert man auf die Westkante hinüber. Der Grat ist anfangs sehr breit, aber plattig, doch sind die Griffe meist gut, und so gelangten wir ohne bedeutende Hindernisse zu einer beträchtlichen Höhe. Hier stellte sich uns ein beinahe senkrechter Plattengürtel entgegen, der den Grat seiner ganzen Breite nach sperrte. Moser bog in die Westabstürze aus und umkletterte die Schranke durch einen etwa 30 Meter hohen, brüchigen, äusserst schwierigen Kamin. Ich dagegen versuchte mein Heil an der Ostwand, wurde aber zurückgeschlagen. Da ich auf keinen Fall in Moser's Spuren folgen wollte, so griff ich das Hinderniss in der Front an und gelangte auch nach Überwindung einiger schwerer Stellen auf besseres Terrain. Nachdem wir noch einen sehr interessanten, kurzen Kamin, der angestrengtes Stemmen erfordert, überwunden hatten, ging es über leichten Fels zur Spitze. An 10 Uhr 58 min. Aussichtspunkt allerersten Ranges. Malerischer und weitreichender Blick. Ab Gipfel 11 Uhr 40 min. Wir beschlossen, dem schönen Berg westsüdwestlich von der Wilden Leck, der Purtscheller von Zachäus Grüner als Atterspitze bezeichnet wurde („Erschliessung der Ostalpen", II. Band, Seite 462), einen Besuch abzustatten. Auf der Specialkarte 1:75.000 ist der Gipfel als Wildeck bezeichnet. Über den Südwestgrat hinabkletternd, der nur eine schwere Stelle bietet und sich bald verflacht, kamen wir zu dem Knotenpunkt, an dem sich der die Atterspitze tragende Seitengrat vom Hauptkamm ablöst. In westlicher, später nordwestlicher Richtung ging es ein Stück weit ohne Schwierigkeit vorwärts. Je mehr wir uns aber dem Gipfel näherten, um so schmäler wurde der Kamm, so dass wir schliesslich genöthigt waren, in die Südwand auszubiegen. Schräg durch die brüchigen, ziemlich schweren Felsen emporkletternd, erreichten wir 12h 58 min den Gipfel, der einen Steinmann trug, welcher aber keine Daten enthielt. Wahrscheinlich ist die Spitze vorher von Touristen nicht betreten worden. Blick auf Gurgl und Huben, Sölden nicht sichtbar. 1 Uhr 37 min verliessen wir den Gipfel, stiegen anfangs über die Westwand und den Nordwestgrat, später über die Felsen der Nordseite und einen Eishang zum Atterferner hinab und querten diesen nach Nordosten in der Richtung auf den Hang zu, welcher vom Gletscher gegen die schon am Morgen betretene Einsattlung nordwestlich von der Wilden Leck hinaufzieht. Zu unserer unangenehmen Überraschung wies er blankes Eis auf, und so blieb uns, wollten wir Zeit und Mühe sparen, nichts Anderes übrig, als in den nicht eben leichten Felsen zur Rechten (im Sinne des Aufstieges) des Hanges den Weg fortzusetzen. 3 Uhr 17 min standen wir in der Scharte bei der Steinfigur und 3 Uhr 32 min bei dem zurückgelassenen Gepäck auf der obersten Terrasse des Wilden Leckferners. Nach Verlassen des Gletschers hielten wir von 3 Uhr 47 min - 4 Uhr 20 min eine Rast, und 5 Uhr 37 min trafen wir in der Amberger-Hütte ein. Die Nomenclatur des Gebietes liegt noch etwas im Argen; es wäre sehr erfreulich, wenn hier einmal Wandel geschaffen würde, Auch wäre es wünschenswerth, dass die besseren Stubaier Führer einen Berg in ihr Tourenrepertoir aufnähmen, der, von dem besten Kenner der Alpen als eine der stolzesten Gipfelgestalten der Tiroler Alpen bezeichnet („Erschliessung der Ostalpen", II. Band, Seite 461), trotz seiner bequemen Lage noch nicht einmal ein Dutzend Ersteigungen aufzuweisen hat. — Das Wetter war auf den geschilderten Touren herrlich, die Felsen im besten Zustande, der Schnee meist gut.
Oscar Schuster.
Quelle: österreichische Alpenzeitung 1896, Seite 96

Datum erste Besteigung:
10.09.1896
Gipfel:
Wilde Leck
Erste(r) Besteiger(in):
Moser Heinrich
Schuster Oscar