Kirchenkogel Gurgler

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Höhe:
3.180 m
Infos:
Kirchenkogel 3296 m. (Erste Ersteigung.)
Am 15. August 1885 machte ich von Gurgl aus einen Spaziergang auf die Gurgler Alpe, um mich über die auf den Kirchenkogel einzuschlagende Eichtung zu orientiren. Dieser erscheint hier im Hintergrunde des Rothmoosthales, vom Rothmoosferner flankirt, als fein zugespitzte Pyramide, die über einem zackigen Grat ansteigt; bis zu zwei Drittel der Höhe dunkle Wände mit schroffen Abstürzen zum Ferner hinab, das oberste Drittel, eine schmal verlaufende Schneide, überfirnt. Ein Aufstieg über den Gaisbergfemer durch das Gaisbergthal, gegenüber dem Granatkogel, zeigte sich von vornherein wegen ungangbarer Wände als problematisch; bessere Aussichten bot das Rothmoosthal. Der folgende Sonntag war einem Ausfluge auf den touristisch wenig beachteten Königskogel gewidmet. Vom Führer Scheiber begleitet, stieg ich von der Seite des Verwallthales auf, bog aber in der halben Hohe auf die Königs-
thaler Seite über nnd fand nach zweieinhalbstündiger Wanderung über unzuverlässige Platten und mürbes Gestein auf der Spitze einen vorzüglichen Ueberblick über die gesammte Thalumrandung von Gurgl; im Süden dominirt der Granatkogel, neben ihm erscheint als schneidiges Dreieck, über Vorbauten
ansteigend, der Kirchenkogel. Der Königskogel verdient als Aussichtspunkt entschieden mehr Beachtung, als er bisher gefunden hat; zudem ist die Wanderung auf ihn, wenn auch des Gerölles wegen etwas mühsam, absolut gefahrlos. — Am 17. August früh 4 U brach ich mit Alois Scheiber und Johann Grüner von Widum auf. Wir bogen dem Steinmandl auf der Gurgler Alpe 2250 m gegenüber in das Rothmoosthal ein, ohne die Thalsohle selbst zu betreten, und zogen uns an den Abhängen der Hohen Mut stetig in die Hölie. So vermieden wir auch den zerrissenen, durch eine vom Seelenkogel herabkommende Mittelmoräne durchzogenen Rothmoosferner. Um 1/2 7 Uhr erreichten wir in der Höhe von 2650 m (Temperatur 4- 4° R.) den Sattel zwischen der Hohen Mut und dem westlichen Vorgipfel des eigentlichen Kirchenkogels. Die Erreichung dieses Vorgipfels 2805 m hätte weiter keine Schwierigkeit geboten, wäre aber zwecklos gewesen; denn nach wenigen Schritten an seiner gegen den Rothmoosferner abfallenden Flanke erschien zwischen ihm und dem allmälig hinter Vorbauten zurücktretenden Hauptgipfel ein langgestreckter, absolut ungangbarer Grat; er läuft in eine Reihe überhängender, theilweise wunderlich gekrümmter Felshörner aus, Avie ich deren über ein Dutzend zählte; dagegen schien es möglich, uns an seinen gegen den Rothmoosferner steil abfallenden Wänden zu einer über zwei ausgedehnten Schneefeldern sichtbaren Scharte zwischen den beiden äussersten
Hörnern hinaufzuarbeiten; in dieser Richtung vermuthete Scheiber, und zwar mit Recht, wie sicli später herausstellte, den Hauptgipfel. Wir stiegen sofort in die Wände ein; das Gestein zeigte sich im höchsten Grade morsch und ausgewittert und bot Avenig verlässliche Griffe; die minder steilen Stellen waren mit feinem Schutt überdeckt, in dem, da der Fuss immer wieder zurückglitt, sich nur mühsam vorwärtsskommen liess. Nach zweistündiger Arbeit war die Scharte, auf die wir zwischen den besagten Schneefeldern hindurch zugesteuert Avaren, gewonnen; jenseits stand, wie auf einem schmalen Vorbau, die Liebnerspitze, die sich jäh und unmittelbar über den im todten Winkel uns zu Fassen liegenden Rothmoosferner erhob. Der Vorbau selbst war wieder in ca. 60 m Höhe von einem langgestreckten Grat überragt, über dem zwei höhere Felsgipfel anstiegen. Rasch war der Grat, da das Gestein sich etwas zuverlässiger zeigte, erreicht; wenige Schritte über ihn weg und plötzlich erschien der Hauptgipfel in nächster Nähe, kaum mehr als 120 in über uns. Zunächst musste eine jähe Eishalde erklommen werden, auf der Pickel und Steigeisen in Anwendung kamen; dann folgte wieder lockeres Geröll, über das wir die Spitze 9 U 30 erreichten. (Temp. --j- 5 °, in der Sonne-{-22 OE.) Die Spitze war schneefrei; in ihrer Mitte durch einen Blitzstrahl, wie Scheiber behauptete, kesseiförmig eingesenkt, bildet sie eine Fläche von • ca. 6 am; nach drei Seiten fällt sie mit überhängenden Wänden ab. Ueberraschend war zunächst der Blick auf den im todten Winkel sichtbaren Fimkessel des Gaisbergferners mit seinen gewaltigen Seracs und klaffenden Spalten. In nächster Nähe erhoben sich Granatkogel, Hoher First und Liebnerspitze, sodann die Spitzen des Passeirer Kammes, die drei Seelenkogel und die gesammte Umrandung des Gurgler Thaies; tiefer im Hintergründe zeigten sich besonders ausgezeichet Similaun und Weisskugel, alle hoch überragt von der Venter Wildspitze. Leider wurde das Bild bald durch eine über den Passeirer Kamm sich hereinwälzende Nebelwand gestört. Um 11 U begann der Abstieg. In den Wänden hielten wir die Richtung des Aufstieges ein, bogen dann im rechten Winkel gegen den Rothmoosferner ab, schritten auf ihm thalabwärts, wobei wir eine gewaltige Gletschermühle trafen, betraten am Ende der Gletscherzunge um 1 3 /-i U den Thalboden und kamen um 2 1/2 Uhr wieder in Gurgl an.

Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1886, Seite 10

Bild:
Foto gesucht!
Gebirgsgruppe:
Ötztaler Alpen
Erste(r) Besteiger(in):
Grüner Johann (Führer)
Oster Dr.
Scheiber Alois
Datum erste Besteigung:
17.08.1885

Routen:
aus dem Rotmoostal (von Westen)
Nordwand
Nordwestgrat
Ostgrat

(Route Neu)