Grössl Viktor
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Biografie:
Viktor Grössl
*1. Februar 1891 — (+) 14. Dezember 1969
Gedankenversunken geht man den Weg zum Einstieg. Nur eine Geste, ein Wort genügt, und der Kamerad versteht. Weiß, woran man denkt. „Mein Onkel kennt den Weg, den wir heute vorhaben, seit der Zeit seiner ersten Begehungen", erwähne ich, und mein Begleiter denkt weiter, frägt, ob dieser Mann es war, der mich zum Bergsteigen gebracht hat. — „Ja, seine Erzählungen, abenteuerlich, spannend und völlig neu für einen jungen Menschen haben sicher vieles in mir vorbereitet. Dann ging ich meinen eigenen Weg, und als ich mich schon ein wenig auskannte in den Bergen, konnte ich mit ihm sprechen. Mit ihm, der dies alles kannte, so gut, als hätte er es eben erst mit mir begangen."
Immer, wenn ich eine Tour vorhatte, konnte ich von ihm eine Landkarte, einen Führer ausleihen und fragen, was er in diesem Gebiet kannte. Seine Beschreibung, seine Ratschläge haben mir oft eine Wahl erleichtert. Neben den Karten stand mir eine Bibliothek mit bereits selten gewordenen Bergbüchern zur Verfügung.
Charakteristisch für das Verhalten meines Onkels auf seinen Bergtouren und wohl auch gegenüber seiner gesamten Umwelt, war vorsichtiges Abschätzen, sicheres Erkennen der günstigsten Angriffsstelle und unnachgiebiges Ringen mit allen Kräften. Unter Partnern mußte er sich als der Führende anerkannt wissen; im Leben mußte sein Platz, seine Stellung respektiert sein, seine Stellung, die er beanspruchte und die er auch ausfüllte. Oft zum Staunen der anderen spürte er das Lauern der Lawinen, den Wetterumschwung oder die Arglist eines Menschen im Alltag. Etwas von dieser ahnenden Vorsicht, das wünschte ich von ihm zu erlernen.
Wenn ich nun seine Tourenberichte durchsehe, finde ich als besondere Daten: 1910 Wilder Kaiser; 1911 Pfannl-Maischberger-Weg, Sextener Dolomiten, Vajolettürme; 1912 Großglockner; 1914 Dachsteingebiet. Nach dem Krieg Beitritt zur Sektion „Die Reichensteiner" des ÖAV und 1920 Beitritt zum ÖAK. 1921 Erst- und Zweitbegehungen in der Silvretta; 1922 Erstbegehung Ödsteinkarturm Nordostwand; 1923 Piz Bernina und Piz Roseg im Winter; 1925 Watzmann-Ostwand, und ab 1926 Fahrten in die Westalpen: Jungfrau, Mönch, Finsteraarhorn, Matterhorn; 1928 Montblanc; 1931 Monte-Rosa-Ostwand. Ins-gesamt eine stattliche Anzahl Viertausender, davon viele im Winter.
Häufig genannte Kameraden sind: Braunsdorf, Herzner, Melecky, Menzinger, Reichelt, Horeschowsky, Piekielko, Rupp, Franz Otto, Ernst Sporrer und, wahrscheinlich ab 1926, Peter Epp, sein Begleiter auf den Westalpentouren.
Neben den Bergfahrten können Vorträge beim Alpenverein und in verschiedenen Wiener Hörsälen als alpine Leistung in weiterem Sinn erwähnt werden.
Auch die Veröffentlichungen in Zeitschriften, illustriert mit eigenen Photographien; denn er beherrschte die Lichtbildkunst vorzüglich, von der Bildkomposition bis zur Dunkel-kammerarbeit. Das Wort Bildkomposition ist gerechtfertigt. Es wird bestätigt durch ein Lob in einem Brief von Julius Kugy: „In Ihren Bildern ist Musik." Schließlich war auch sein Beruf mit dem Bergsteigen verknüpft. Er sorgte mit zähem Geschäftsgeist durch Jahrzehnte für die geldbringenden Inserate in den Zeitschriften der Sektion Austria, des OGV, des ÖTK und des ÖAK.
Gerne erzählte mein Onkel von dem düsteren Ausspruch eines Wirtes während eines Gewitters im Gesäuse: „Der Grössl kimmt neamma!", von langen Schneesturmtagen in der Valothütte, von einer Lawine am Lyskamm, der er knapp entging, von einem Blick in die Monte-Rosa-Ostwand, und dem innigen Verstehen mit Kameraden Epp — „die holen wir uns" —, von der besonders raschen Durchsteigung dieser Wand und auch der Watzmann-Ostwand. Von den Gefühlen um Gefahr, instinktivem Ausweichen, Freiheit, Unbeschwertheit des Kletterns und Schilaufens, von Mühen, Kämpfen, Durchhalten, von der hohen Kameradschaft und Treue des wahren Berggefährten und von der nachhaltigen körperlichen Ertüchtigung, die er den lange durchgeführten Bergtouren dankte.
Am offenen Grabe stehend, will ich Dir als letzten Gruß ein mitgebrachtes Felsstück weihen. Doch der Schacht ist tief und eng. Der Stein würde den Sarg verletzen. Kein Bergsteiger gefährdet den unter ihm befindlichen Kameraden durch einen fallenden Stein.
Ich werfe den Stein nicht hinunter, denn, wenngleich wir niemals eine gemeinsame
Bergfahrt unternehmen konnten, bist Du — mein Kamerad.
Helge Heller
Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1970, März/April, Folge 1370, Seite 57-58
Geboren am:
01.02.1891
Gestorben am:
14.12.1969
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