Drasch Fritz

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Biografie:
geboren am 30. Mai 1857 in Aflenz (Steiermark-Österreich)
Studierte in Graz und übersiedelte anschließend nach Salzburg;
Zählte u den letzten "Führerlosen" der Grazer Schule.
Am Nordostgrat des Großen Mörchner beim Versuch einer Erstbegehung des Grates tödlich abgestürzt!
Begraben am Friedhof im Zemmgrund neben seinem Freund Hans Hörhager;

Erstbegehungen in vielen Gebieten der Ostalpen; War ein Freund von Hans Hörhager.
Erste Begehung des Ostgrates der Königsspitze (3857m) im Jahre 1886 mit A. Jureck;
Erste Begehung der Nordwand des Schrammacher (3416m) in den Zillertaler Alpen;
Erste Winterbegehung der Glocknerwand (Südanstieg) am 18. Februar 1887 mit S. Huter;
Erste Begehung des Ostgrates der Wilden Leck (3361m) im Jahre 1887 mit L. Purtscheller und A. Gritsch;
Erster Anstieg über die Westflanke des Nordgrates vom Kleinen Gosaugletscher am 11. Juli 1889 mit R.H. Schmitt (ohne Führer):
Erste Durchkletterung der Südwand mit Anstieg auf die Untere Windlucke am 14. Juli 1889 mit R. H. Schmitt
Erste Begehung der Mitterspitz-Südwand am 14. Juli 1889 mit R.H. Schmitt;
Erste Begehung unmittelbar von Osten des Niederen Dirndl (2810m) mit R.H. Schmitt;
Erste Begehung der Südwand des Großen Rauchkofel (3043m) mit R.v. Arvay und J. Kaup;
Quelle: Archiv Proksch (Österr. Alpenklub)

Nachruf von L. Purtscheller in Salzburg.

Selten wohl hat die Kunde von einem alpinen Unglücksfall eine so grosse allgemeine Theilnahme und einen so schmerzlichen Eindruck hervorgerufen als die vor drei Wochen aus den Zillerthaler Alpen eingetroffene Nachricht von dem Tode des hervorragenden Alpinisten Dr. Fritz Drasch. Das Schreckliche, das Niemand zu denken wagte, und was bei einem so sicheren und erfahrenen Bergsteiger, wie es Dr. Drasch war, kaum für möglich gehalten wurde, ist eingetreten: auch er starb als Opfer der Berge, als ein Auserkorener jener dunkeln Gewalten, die oft plötzlich und unvermuthet in den Gang unserer Geschicke eingreifen. Wohl mögen die höchst ungünstigen Witterungsverhältnisse dieses Sommers mit ihrem Gefolge von Schnee und Eis und der schlechten Beschaffenheit der Felsen auch bei diesem Unglücke eine Rolle gespielt haben. Aber der Ursachen, die für den Verunglückten ein so trauriges Ergebniss herbeiführten, waren auch andere. Wir beziehen uns hinsichtlich der Einzelheiten des erschütternden Unglücksfalles auf den zum Schlüsse dieser Ausführungen folgenden, ausführlichen Bericht des Begleiters des Verunglückten und heben nur Einzelnes hervor. Der Absturz erfolgte im oberen Dritttheile des Berges, als Callmann und Tipotsch die Spitze bereits erreicht hatten. Es sei bemerkt, dass entgegen den in Nr. 17 wiedergegebenen ersten Vermuthungen als feststehend angenommen wird, dass der Tod durch eine innere Verletzung herbeigeführt worden ist und nicht infolge der Erdrosselung durch das Seil. Auch wir schliessen uns dieser Ansicht an, wenn man erwägt, dass die Fallhöhe 25—30 Meter betrug und der Körper mindestens einmal aufschlug.
Der traurige Unglücksfall hat aber auch noch in anderer Hinsicht die öffentliche Meinung stark beschäftigt, und der Bruder des Verunglückten, Herr Prof. Dr. O.Drasch, hat aus dem völlig unparteiischen Berichte des Herrn Sirk eine Reihe von — unserer Ansicht nach völlig berechtigten — Folgerungen gezogen, welche für Herrn Callmann, der die von dem Verunglückten geplante Tour knapp vor der so unglücklich verlaufenen Bergfahrt des Dr. F. Drasch unternahm, eine scharfe Anklage bilden. Wir wollen hier auf diese Einzelheiten nicht eingehen. Eines aber sei hervorgehoben: In der Berlinerhütte, so berichtet Prof. Dr. Drasch, rühmte sich Herr Callmann, dass er einen „Record" geschaffen und Drasch die Partie weggeschnappt" hätte. Ist dies richtig, und die in zahlreichen Blättern veröffentlichte Aussage des Herrn Prof. Dr. Drasch ist unwiderlegt geblieben, so' beweist dies in erschreckender Weise wieder, zu welchen Verirrungen und Auswüchsen der blosse „Alpensport" führen kann, und auf welche Ziele wir lossteuern, wenn die edle Bergsteigerei zu einer blossen Jongleurkunst auf Felsspitzen, wie einige unserer Exaldados dies zu thun im Begriffe sind, herabgewürdigt wird. Es ist unmöglich zu entscheiden, ob die Stelle, bei der Drasch zu Falle kam, in technischer Hinsicht besondere Schwierigkeiten bietet, oder ob der Absturz durch ein Versehen — etwa das Anfassen eines lockeren Steines — erfolgte. Man möchte das Letztere vermuthen, da sich während seines Emporkletterns Steine ablösten. Prof. Dr. Drasch theilte uns brieflich mit, dass auch eine plötzliche Ohnmacht nicht ausgeschlossen sei, da sein Bruder vorher über eine Magenverstimmung klagte. Dies Alles kann aber an der erschütternden Thatsache nichts ändern. Es erübrigt uns nur, aus diesem so beklagenswerthen Unglücksfalle die neuerliche, ernste Lehre zu ziehen: Allzu kühne Unternehmungen, insbesondere wenn dieselben nur den Werth eines „interessanten Problems" besitzen, mögen unterlassen werden oder sind doch nur unter ganz günstigen Umständen zu wagen. Wir wissen es zwar aus eigener Erfahrung, dass bei einer grossen, gefährlichen Hochgebirgstour die Zahl der weissen und schwarzen Kugeln — um mit P. Güssfeldt zu sprechen — gleich gross ist, aber eben deshalb erwächst uns die doppelte Pflicht, Alles wohl zu überlegen und auch auf die Witterungsverhältnisse, sowie auf die durch dieselben beeinflussten Factoren mehr als bisher zu achten.
Fritz Drasch war am 30. Mai 1857 in Aflenz in Obersteiermark geboren. Er besuchte die Volksschule in Köflach und dann zwei Classen des Gymnasiums im Kloster St. Lambrecht. Die späteren Gymnasial- und Universitätsstudien beendete er in Graz, wo er auch zum Doctor juris promoviert wurde. Seine Rechtspraxis erwarb er sich zuerst in Graz und dann in der Stadt Salzburg. Hier blieb er etwa ein Jahr und trat dann als Concipient in die Kanzlei des Dr. Dimmel in Neumarkt bei Salzburg und später in derselben Stellung bei Dr. Povinelli in Salzbm-g ein. Im September 1894 verliess er Salzburg, um sich in Graz auf die Advocatursprüfung vorzubereiten. Der S. Salzburg des D. u. Oe. Alpenvereins gehörte er seit neun Jahren als Mitglied an. Drasch war eine sehr stattliche, kräftige Manneserscheinung; ein hübscher Vollbart umrahmte sein offenes, treuherziges Gesicht. Und diese Offenheit und Natürlichkeit bildete auch den Grundcharakter seines Wesens. Ihm galten gelehrte Theorien, Standesvorzüge und Ehrentitel geringer als Lebenserfahrung, Ueberzeugungstreue und ein klarer, praktischer Menschenverstand. Rang war ihm nur Münzgepräge, der Mann das Gold. Für die Juristerei konnte er sich nicht recht erwärmen. Ihm galt der Bauernstand, dessen Vorzüge er stets rühmte, als der ehrwürdigste und schutzbedürftigste aller Stände, und deshalb beschäftigte er sich viel mit volkswirthschaftlichen und politischen Fragen. Drasch hatte die Gebirgswelt in das Herz geschlossen, aber nicht etwa als blosser Sportsman, sondern als wahrer Freund und Verehrer der Natur. Er verurtheilte mehr als einmal den Sport, die „Seiltänzerei auf Felszacken", aber es gehörte zu den Widersprüchen seines Temperaments, den guten Vorsätzen nicht immer treu zu bleiben. Die Zahl der von ihm erstiegenen Hochgipfel ist sehr gross. Er kannte nicht nur die hervorragendsten Gebirgsgruppen unserer Ostalpen, auch die Schweiz besuchte er wiederholt. Zu seinen grösseren Bergfahrten gehören: die Ersteigung des Thurnerkamps vom Hochfirn über die Nordwand und jene der Königsspitze über die Felsen der Ostseite und den Nordostgrat, die mit dem Verfasser ausgeführten Wanderungen in den Berner Alpen, in der Fervall Gruppe und in den Stubaier Bergen, die Ersteigung des Grossglockners über den Nordwestgrat, die allein ausgeführten Dolomittouren auf die Hohe Gaisl über die Ostwand und auf den Grossen und Kleinen Zwölfer, die Erkletterung der Südwände des Dachsteins mit R. H. Schmitt, der Anstieg auf die Simonyspitzen aus dem Krimmlerkees, die Ersteigung des Matterhorns, des Zinal-Rothhorns, des Lyskammes und Monte Rosa theils mit, theils ohne Begleiter, eine Schrammacher-Erstcigung über die Nordwand ohne Führer. Hiemit ist jedoch die Zahl seiner grossen Hochgebirgstouren noch lange nicht erschöpft. Drasch betrieb die Alpinistik durch 18 Jahre. Diese lange Bergerfahrung und Vertrautheit mit der Gebirgswelt, gepaart mit grosser Körperkraft und Intelligenz, befähigten ihn zu den schwierigsten Unternehmungen und stellten ihn geradezu mit den tüchtigsten Führern in gleiche Reihe. Der Verunglückte allein weiss, worin er irrte und warum er fiel. Er ist in dieser Sache nur sich selbst verantwortlich. Er starb auf dem Schauplatze seiner Thaten, auf den lichten Höhen der Berge, und in dem Augenblicke, wo er schied, da waren seine Gedanken rein, zu dem Höchsten und Ewigen gerichtet. Auf dem kleinen Kirchhofe in Ginzling, inmitten glänzender Firnen und der rauschenden Wasser, liegt er begraben. Die ihm erwiesenen letzten Ehren gestalteten sich zu dem grossartigsten Leichenbegängniss, das jemals in dem kleinen Bergörtchen stattfand. Möge er dort sanft ausruhen, der treue Gefährte und der wackere Wanderer, von all' den Sorgen und Mühen, bewacht von den gewaltigen Bergen, umhaucht von Gottes Frieden!
Wir lassen nun den ausführlichen Bericht des Herrn Hermann Sirk folgen.
Er schreibt: „Freitag den 4. September d. J., circa 5 U. 30 nachmittags, kamen Dr. Drasch und ich zur Greizerhütte mit der Absicht, am nächsten Morgen auf dem schon im Vorjahre, sowie neuerdings heuer anfangs August von Dr. Drasch recognoscierten Grate, der links (von der Greizerhütte aus gesehen)
von der zwischen Grossem Mörclmer und Mörchnerschneide herabziehenden, von Dr. Lammer im Vorjahre begangenen Eisrinnne gelegen ist, die Besteigung des Grossen Mörchners zu versuchen. Dr. Drasch hatte diesen Plan niemals verheimlicht, sondern des Oefteren sowohl in Bergsteigerkreisen, als auch mit ZillerthalerFührern erörtert. Ebensowar es auch bei Dr.Drasch's bekannter Offenherzigkeit gleich nach seiner zweiten Ankunft (24. August d. J.) im Zillerthale bekannt, dass er heuer in meiner Gesellschaft so lange warten wolle,bis die Witterungs- und Schneeverhältnisse einen Versuch auf den Mörchner von der Floiten aus erlauben würden.
Als wir nun am 4. September bei der Greizerhütte anlangten, trafen wir daselbst Herrn Stud. med. Callmann aus Darmstadt mit seinem Führer Alois Tipotsch aus Rosshag. Herr Callmann war uns schon gelegentlich seines kurzen Aufenthaltes in der Dominicushütte und am 2. September in Ginzling bekannt geworden. Herr Callmann erkundigte sich beide Male angelegentlichst um unsere Pläne, welche sowohl Dr. Drasch, wie auch ich ihm ganz rückhaltslos eröffneten. Er selbst gab an, im Zillerthale nur einige Hochtouren im Bereiche der Berlinerhütte, sowie photographische Aufnahmen machen zu wollen. Erst als wir uns im Floitenthale selbst, in der Greizerhütte trafen, erfuhren wir, dass auch er mit Tipotsch einen Versuch auf den Mörclmer von dieser Seite machen wolle. Auch Tipotsch hatte die Route Drasch's in Aussicht genommen. Abends sprach man unter Anderem auch über die Art der Veröffentlichung im Falle des Gelingens der Tour, und es wurde vereinbart, dass Dr. Drasch einen Bericht für die „Oesterr. Alpen-Zeitung", Herr Callmann einen für die „Mittheilungen des D. u. Oe. Alpenvereins" schreiben solle. Aus der Art dieser Vereinbarung waren sowohl Dr. Drasch und ich, sowie auch laut seiner späteren Aeusserung der Führer Tipotsch der Ueberzeugung, dass die Tour am nächsten Tage gemeinschaftlich unternommen werde. Als ich am nächsten Morgen erwachte, war im Schlafraume, der zugleich auch als Küche dient, bereits Licht; Herr Callmann und Tipotsch waren bei der Vollendung ihrer Ausrüstung,
und die Wirthschafterin mit der Herstellung des Frühstückes für Herrn Callmann und seinen Führer beschäftigt. Auf mein erstauntes: „Oho! so spät ist's schon?" bekam ich zur Antwort, es sei bereits 2 U. vorüber. Ich, sowie gleich darauf Dr. Drasch erhoben uns auch vom Lager und machten uns fertig. Herr Callmann und sein Führer schienen auf uns zu warten. Plötzlich jedoch sagte Ersterer zu Tipotsch: „Du, Lois! ich glaub', es ist Zeit, dass wir uns auf die Beine machen!" und zu uns gewandt: „Die Herren sind ja gut bei Fuss, sie werden uns so leicht einholen!" Damit verliessen Herr Callmann und sein Führer bei Laternenschein die Hütte. Ich gieng mit hinaus und blickte ihnen nach. Schon nach kurzer Zeit hatten Beide die Zunge des Floitenkeeses erreicht. Da rief ich Dr. Drasch heraus mit den Worten: „Herr Doctor, kommen Sie schnell, das müssen Sie sich ansehen, wie die zwei über den Gletscher laufen!" Dr. Drasch schüttelte nur stumm den Kopf und gieng dann wieder mit in die Hütte zurück, wo indessen auch für uns das Frühstück fertig geworden war. Nach Einnahme desselben dünkte es mich sogar, als zögere Dr. Drasch, der voraneilenden Partie nachzugehen. Dann jedoch schien er einen plötzlichen Entschluss zu fassen und drängte zum Aufbruch, etwa 1 / 2 St. nachdem die Anderen die Hütte verlassen hatten. Rasch eilten wir der Gletscherzunge zu. Weit drüben auf der Moräne sahen wir das Licht der Vorangehenden schnellsich aufwärtsbewegen. Nach Ueberschreitungder Gletscherzunge betraten auch wir die Moräne und strebten unserem Grate zu. Im Dämmerlichte gewahrte Dr. Drasch oben, am Fusse der Felsen, zwei schwarze Punkte, und in der Ansicht, dass dies Herr Callmann und sein Führer seien, die auf uns warteten, giengen wir eiligst auf diese Punkte zu. Es waren aber, wie sich später herausstellte als wir näher herankamen,nur zwei Felsklötze. Nachdem sich bald darauf die deutlich sichtbaren Spuren der Vorausgeeilten nach rechts dem von Dr. Drasch recognoscierten Grate zuwandten, waren wir zur Ueberzeugung gelangt, dass die Beiden uns einfach davongelaufen waren!
Dr. Drasch blieb stehen, wandte sich zu mir und sagte: „Da können wir nicht mehr nach. Sind Sie einverstanden, so versuchen wir den linken Grat. Vielleicht geht er!" Ohne Zögern erklärte ich mich bereit, und wir wandten uns dem von unserer geplanten Route links gelegenen Grate zu. Hier waren wir wenigstens vor den durch die Vorankletternden oben am Grate losgelösten Steinen gesichert, welche grossentheils ihren Weg durch das vom Gipfel zwischen beiden Graten herabziehende Couloir nehmen mussten, dessen untersten Theil wir hätten benützen müssen, um auf unseren Grat zu gelangen.
So wurden wir genöthigt, den anderen Grat in Angriff zu nehmen, der uns von allem Anfange an schwerer erschien und bei der Recognoscierung deswegen gar nicht in Betracht gekommen war. Wir nahmen das Seil, und — im Allgemeinen in der Richtung nach links aufwärts — strebten wir über vereiste -Platten und verschneite Bänder dem links von unserer gedachten Route befindlichen Grate zu. Dabei trafen wir auf grosse Schwierigkeiten. Zwei Wandstufen konnten nur mittelst menschlichen Steigbaumes überwunden werden. Durch das schnellere Gehen im Anfange unserer Tour, sowie durch die anstrengende Kletterei, waren wir Beide schon etwas erschöpft. Insbesondere schien Dr. Drasch heute nicht recht disponiert zu sein. Dennoch gieng er weiter. Wir wussten sicher, dass der obere Theil des Grates bedeutend leichter sein müsse. Wir gelangten zu einem steilen Schneehang, wo wir uns circa 9 U. 30 vormittags zu kurzer Rast niederliessen. Vor uns war eine steile Wandpartie, die voraussichtlich grosse Schwierigkeiten bereiten musste. Nach.1/2 jstündiger Rast gieng es weiter, u. z. zuerst ein paar Meter gerade in die Höhe, dann auf einem verschneiten Bande schief nach links aufwärts zu einer Art Nische mit zwei losen Blöcken, aus dieser Nische unter einem Ueberhange hindurch zu einem kaminartigen Riss, der nach rechts aufwärts zu einem Bande leitete, welches durch einen aus der Wand vorspringenden, fast mannshohen Block sein Ende fand. Dr. Drasch erkletterte diesen Block und spähte nach aufwärts. Unterdessen betrachtete auch ich, so gut ich es von meinem Standpunkte vor dem Block konnte, die vor uns liegende Wandpartie. So viel ich mich zu erinnern weiss, war der untere Theil derselben weniger geneigt, der oberste Theil jedoch sehr plattig, steil und beschneit. Mehr Zeit zum Beobachten hatte ich nicht, weil Dr. Drasch bald in die Wand einsteigend mir zurief: "Jetzt aufpassen!" Dr. Drasch hatte das Seil fest um den Leib gebunden und 3—4 Schlingen um Schulter und Brust gewunden, die er noch zur Vorsicht mit dem Ende des Seiles aneinanderband. Ich legte das Seil in eine zwischen Block und Wand verlaufende Rinne und verstemmte mich, um fester halten zu können, hinter dem Block. Nur aus den Bewegungen des Seiles konnte ich entnehmen, dass Dr. Drasch anfangs etwas rascher kletterte, dann gieng es einige Zeit sehr langsam, darauf erfolgte eine Weile Stillstand. Nach einiger Zeit merkte ich an der Lockerung des Seiles, dass Drasch wieder zurücklettere. Dementsprechend musste ich wieder etwa 1 1/2 m. Seil einholen. Dann folgte durch längere Zeit keine Bewegung. Endlich merkte ich an dem sanften Zuge des Seiles, dass es wieder vorwärts gehe. Das dabei durch die Steigeisen verursachte Geräusch klang, wie mir vorkam, etwas weiter rechts über mir als das erste Mal. Handbreit für Handbreit, immer langsamer Hess ich das Seil durch meine Hände gleiten; eben bekam ich wieder einen leisen Zug und wollte gerade wieder einige Zoll Seil ausgeben, als ich plötzlich und ganz unvermittelt, ohne dass ich vorher etwas von einem Zuruf, einem Schrei oder sonst ein irgendwie verdächtiges Geräusch gehört hätte, einen furchtbaren Ruck durch das Seil erhielt, welches meine linke Hand gegen den Fels quetschte. Zum Glück verklemmte sich das Seil etwas in der Rinne, welche in einen engen Spalt übergieng und durch welche ich fortwährend das Seil hatte gleiten lassen. Dennoch war es mir nur ganz kurze Zeit möglich, mit der einen noch brauchbaren Hand den schweren Körper meines armen Gefährten zu erhalten. Unterdessen rief ich wiederholt hinab; doch keine Antwort!
Dabei Hess ich das noch 1— 1 1/2 m. lange Seil vollends nach. Der Seilzug selbst zog mich fast an dem Block in die Höhe, und ich gewahi-te meinen unglücklichen Freund vollkommen regungslos am Seile hängend. Da erinnerte ich mich der anderen Partie, nahm meine Signalpfeife und gab in Intervallen schrille Pfiffe ab. Keine Antwort! Was nun? Das Seil beim Block befestigen, mich abschneiden und zu ihm hinab! war mein Gedanke. Doch ein Reserveseil, eine starke Rebschnur mit der ich das Seil hätte festbinden können, hatte ich nicht. Ob bei diesen Ueberlegungen Minuten oder ebensoviele Viertelstunden vergiengen, kann ich nicht sagen. Endlich fiel mein Blick ganz zufällig auf den dicken Knopf an meinem Seilende. Easch machte ich denselben etwas frei und zwängte ihn mit Hilfe meines Messers in den zwischen Block und Wand befindlichen Spalt und verkeilte ihn noch überdies mit Steinen. Nachdem ich die Festigkeit geprüft, schnitt ich meine Seilschlinge durch, wohl ein Dutzendmal innehaltend und wieder und wieder prüfend, ob der Knoten wohl halte. Er hielt! Nun kletterte ich, so rasch es mit meiner verletzten Hand gieng, hinab. Sofort rieb ich Dr. Drasch's Stirne und Schläfen mit Schnee und Cognac, doch ohne Erfolg. Ich untersuchte nun Puls- und Herzschlag: nichts zu fühlen! Er dürfte die doppelte Seillänge, ungefähr 25—30 m., gestürzt und der Tod infolge der durch den mächtigen Ruck am Seile erfolgten inneren Verletzungen eingetreten sein. An eine durch Zuziehung einer Schlinge bewirkte Erdrosselung oder durch den Ruck verursachten Bruch der Halswirbelsäule (was wohl meine erste irrthümliche Annahme war) ist nicht zu denken, weil das Seil nicht in Form einer eigentlichen Schlinge um den Hals lief, sondern, wie die spätere Untersuchung bei Abnahme der Leiche lehrte, den Kopf nur abseits drückte. Tief erschüttert von der traurigen Gewissheit des eingetretenen Todes musste ich an den Abstieg denken. Ueber die Felsen abzusteigen, war mir unmöglich wegen meiner verletzten Hand. Die einzige Möglichkeit des Herunterkommens lag in der besonders zur Nachmittagszeit äusserst stein- und lawinengefährlichen Schneerinne zwischen den beiden Graten. Also schnell hinab! Die weiteren Einzelheiten dieses Abstieges vermag ich nicht anzugeben. Ich weiss mich nur zu erinnern, dass ich meine Steigeisen erst unten beim ersten Almboden ablegte! Mit Anbruch der Dunkelheit gelangte ich nach Ginzling. Sofort wurden von hier aus die Führer telephonisch von dem ergreifenden Unglücksfalle verständigt, und am nächsten Morgen brachen Führer Hans Hörhager I, Alois Tipotsch und Führeraspirant Johann Lechner in die Floiten auf, um am Nachmittage trotz Schneesturm und äusserster Lawinengefahr einen Bergungversuch zu machen. Trotz eifrigen Suchens war es ihnen unmöglich, die Leiche zu finden. Erst Montag am 7. d. M. gelang es den wackeren Führern Hans Hörhager I und Alois Tipotsch, unter eigener Lebensgefahr die Leiche am Unglücksorte zu finden und zu Thale zu schaffen, von wo dieselbe durch Träger nach Ginzling gebracht wurde.
Das Leichenbegängniss fand Mittwoch den 9. d. M., 1/2 9 Uhr vormittags, in Ginzling unter Beisein des Bruders des Verunglückten, Herrn Universitätsprofessor Dr. Otto Drasch aus Graz, sowie der Freunde des Dahingeschiedenen, Herren Oberingenieur Ludwig Muhry und Dr. med. Igo Kaup aus Graz,
vieler Mitglieder der S. Zillerthal, sowie zahlreicher Betheiligung der Führerschaft und Bewohner des Thaies unter lebhafter Antheilnahme statt."
Mayrhofen, 11. September 1896.
Hermann Sirk, med.
Akad. S. Graz und S. Zillerthal des D. u. Oe. A.-V.

Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1896 Seite 220-222

Geboren am:
30.05.1857
Gestorben am:
05.09.1896
application/pdf Drasch Fritz (ÖAZ 1896 244-245).pdf

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