Spannagel Rudolf
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Biografie:
Dr. Rudolf Spannagel (+)
Gleich einem Blitz aus heiterem Himmel traf am 6. November in den österreichischen Touristenkreisen die Nachricht ein von dem auf der Rax erfolgten tödlichen Absturz des Präsidenten des Österreichischen Touristenklubs, Dr. Rudolf Spannagel, Entsetzen und tiefe Trauer bei allen hervorrufend, die diesen Mann gekannt hatten oder ihm im Leben nahe gestanden waren, aber auch lebhaftes Bedauern erweckend daß soviel Tatkraft und Schaffenslust für immer vernichtet wurde, bevor sie noch zu ihrer höchsten Entfaltung gelangt war.
Angesichts der herzlichen Beziehungen, die der Dahingegangene jederzeit zum D. u. Ö. Alpenverein, dessen Mitglied er seit einer langen Reihe von Jahren und bis an sein frühes Ende war, unterhalten hat, und in Erinnerung an die warmen Begrüßungsworte, die; er uns noch bei der letzten Generalversammlung zu Bozen zurief, wollen wir es nicht versäumen, ihm auch an dieser Stelle einige Worte der Anerkennung und pietätvollen Erinnerung in sein frühes Grab nachzurufen.
Dr. R. Spannagel war eine von jenen gottbegnadeten Naturen, die nur auf der Sonnenseite des Lebens gedeihen und die berufen sind, zur Freude und zum Wohle ihrer Mitmenschen zu wirken. Er vereinigte in seinem Wesen eine köstliche Mischung des liebenswürdigen Urwienertums mit der Gedankentiefe und Charakterstärke der germanischen Rasse, als deren ausgesprochener Vertreter er jederzeit gelten konnte. Ausgestattet mit allen Vorzügen eines gesunden und kräftigen Mannes, erfaßte ihn schon in den ersten Jünglingsjahren eine tiefe Begeisterung für die Schönheit der Alpenwelt, deren glühendster Verehrer er auch durch sein ganzes Leben geblieben ist. Ein gütiges Geschick ermöglichte es ihm, diese Liebe zu den Bergen voll und ganz ausleben zu können, und er genoß in vollen Zügen alle Schönheiten der Alpennatur, nicht nur in ihren wildesten und großartigsten Äußerungen der Fels- und Gletscherwelt., sondern auch in den sanfteren Formen des Mittelgebirges, die in ihren vielfachen Gestaltungen sowie in den kleinsten Äußerungen der Tier- und Pflanzenwelt jederzeit sein Entzücken hervorriefen.
Wenn er im Kreise seiner Freunde oder am Vortragstische von seinen alpinen Fahrten erzählte, dann glänzte ihm die helle Begeisterung in den Augen und gar mancher seiner Zuhörer wurde auf diese Weise für den edlen Bergsport gewonnen. Er hatte eine sehr angenehme Art zu sprechen, in einer impulsiven, oft übersprudelnden Lebhaftigkeit, wobei seine Worte vor allem dadurch auf die Zuhörer wirkten, daß sie als der Ausdruck seiner innersten Überzeugung erschienen und daher vom Herzen kommend zum Herzen gingen. Dabei waren seine Reden mit manchem schlagenden Witz gewürzt und voll jener sonnigen Heiterkeit, die sein ganzes Wesen auszeichnete. Nicht in Versammlungen allein, auch im kleinen oder intimen Kreise trat immer seine sinnige, herzliche Liebenswürdigkeit hervor, mit der er sich im Fluge die Herzen aller eroberte. Dazu besaß er eine Schmiegsamkeit und Anpassungsfähigkeit des Geistes, die es ihm ermöglichte, in kürzester Zeit sich in jeder Lage zurechtzufinden, auch wenn sie ihm zuerst noch so fremd war. So war es ihm, dem damaligen Studierenden der Rechte im ersten Semester, möglich, Ende der achtziger Jahre, nach dem plötzlichen Tode seines Vaters, dessen Kommissionsgeschäft auf dem Schlachtviehmarkte zu übernehmen und zu bedeutendem Aufschwünge zu bringen. Sein Ziel, der Doktorgrad, den er trotz seiner Berufsstellung bald erreichte, ermöglichte ihm dann die Erlangung einer ihm ungemein zusagenden Nebenstellung in der Professur für die juridischen Fächer an der Wiener Handelsschule Weiß. Die Möglichkeit, als Lehrer all die Regungen der halb noch kindlichen, halb schon von den praktischen Aufgaben des Lebens erfüllten Mädchen und Jünglinge zu erforschen und in gute Bahnen zu leiten, bot ihm tiefe innere Befriedigung und oft erzählte er uns im engeren Freundeskreise mit strahlenden Augen, wie wohl es ihm tue, die Gesichter der jungen Menschen voll Liebe und Verehrung auf sich gerichtet zu sehen. ? Doch auch diese doppelte Beschäftigung schien seine ungewöhnlichen physischen und geistigen Kräfte nicht ganz zu absorbieren. Er versuchte es auch mit der politischen Laufbahn und wurde Vorstand des Deutschen Vereins in Wien, um sich später in den Gemeinderat der Stadt Wien wählen zu lassen. In beiden Stellungen hinderte ihn sein feinsinniges, jedem Streite und derbem Zuschlagen abholdes Wesen, eine prononzierte Stellung im Parteigetriebe einzunehmen, und er trat in diesen Eigenschaften nie besonders hervor.
So schien es fast, als habe Spannagel mit seiner Laufbahn abgeschlossen, als man von Seite des Österreichischen Touristenklubs an ihn herantrat und ihm die Stelle eines Präsidenten anbot. Spannagel verhielt sich demgegenüber anfangs vollständig ablehnend und nur dem vielfachen Zureden seiner Freunde und durch den Hinweis darauf, daß er der richtige Mann wäre, den Klub wieder zu neuer Blüte zu bringen, gelang es, ihn endlich umzustimmen. Und nun war es, als ob Spannagel plötzlich neue Lebensfreude und Schaffenslust bekommen hätte, denn mit kaum glaublicher Begeisterung und Liebe ging er ans Werk, im Klub reformatorisch zu wirken, neue Kräfte heranzuziehen, locker gewordene Verbindungen wieder zu festigen und neue Beziehungen anzuknüpfen, kurz sich all den vielen Mühsalen und Verpflichtungen, welche die Leitung eines solchen Vereins mit sich bringt, zu unterwerfen, wobei ihm allerdings sein konziliantes Wesen und die elegante Art seines Auftretens sehr zu statten kamen. Wie intensiv er in der kurzen Zeit seiner Präsidentschaft gearbeitet, beweist, daß es ihm gelungen ist, dem Touristenklub in kaum zwei Jahren mehr als 2000 neue Mitglieder zu gewinnen.
Mitten in der Fülle seiner vielseitigen Tätigkeit hat ihn ein grausames Schicksal unvermutet aus dem großen Kreise aller derer gerissen, die ihm als Freunde nahegestanden und die er sich als Anhänger gewonnen hatte. Am 9. November d. J. wurden Spannagels irdische Reste unter einer ungewöhnlichen Beteiligung aller Wiener Kreise, vor allem der alpinen, zu Grabe getragen. Viele Tausende folgten seinem Sarge, an 500 Kränze deckten seine Bahre und aller Augen wurden feucht, als ihm die letzten Grüße der alpinen Vereine und seiner Freunde ins Grab nachgerufen wurden. Er war ein seltenguter, ein prächtiger
Mann, einer jener seltenen Menschen, wie sie sich nur in der Betätigung eines durch harte Arbeit Geläuterten Naturgenusses entwickeln können; unvergeßlich wird er allen bleiben, die sich seine Freunde nennen konnten, aber auch ? unersetzlich.
Adolf Holzhausen, Ernst Martini.
Quelle: DÖAV Mitteilungen 1904, Folge 22, Seite 271-272
Gestorben am:
06.11.1904
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