Kaulich Richard
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Biografie:
Dr. Richard Kaulich zum Gedächtnis
Am 5. Jänner 1946 starb eines unserer ältesten Klubmitglieder, Augenarzt Dr. Richard Kaulich, in Wien im Alter von 76 fahren. Wer von den älteren Wiener Alpinisten, die sonntags die Berge der Wiener Umgebung, namentlich Rax und Schneeberg, besuchten, wird sich nicht des kleinen beweglichen Mannes erinnern, der fast jeden Samstag und bei jedem Wetter, im Sommer zu Fuß und im Winter mit Schiern und Lilienfelder Bambuslanze, nachmittags und oft auch nächtlich zu einer der Hütten im Rax- und Schneeberggebiete aufstieg? Noch während der letzten Kriegsjahre hielt er trotz mangelnder Nahrung und Überanstrengung als Kassenarzt diese Gewohnheit aufrecht. Auch im Sommer erzwang er, allen Hindernissen trotzend, einen Urlaubsaufenthalt in den Bergen, stieg mangels eines Begleiters allein auf über 3000 Meter hohe mittelschwierige Gipfel und schrieb mir begeisterte Briefe. Als ich mit Kriegsbeginn infolge Stillegung meines Kraftfahrzeuges unter die Radfahrer ging, war Dr. Kaulich fast mein einziger Begleiter, wobei er Tagesleistungen von 70 Kilometern ohne Anstrengung bewältigte. Im März 1944 bat er mich um Anschluß für einen einwöchigen Schiaufenthalt auf der Dr. Mehrl-Hütte im Kärntner Nockgebiete. Bei der Auffahrt zur Hütte erlitt er aber bei einsetzendem Schneeweiter, das sich am Abend zum Schneesturm steigerte, seinen ersten Zusammenbruch, der mich mit Schrecken und bösen Ahnungen erfüllte. Mein alter Lourengefährte, der trotz des Vorsprunges an Jahren meist der unternehmungslustigere und zähere gewesen war, versagte so vollständig, daß ich seine Rettung nur besonders glücklichen Umständen verdanke. Ich getraute mich nicht mehr, mit ihm eine Tour zu unternehmen, er aber gab noch immer nicht nach, wenn er auch zum Aufstiege auf die Rax bereits die Seilbahn benützte. Im Frühjahr 1945 mußte er endgültig verzichten, als die Füße anzuschwellen begannen und das Wasser immer höher stieg. Als Arzt gab er sich über seinen Zustand keiner Täuschung hin, ertrug aber sein Leiden in ruhiger, zeitweise fast fröhlicher Fassung. Im Dezember hatte ich ihn noch besucht, und dann hörte ich von ihm erst einen Tag, nachdem er in aller Stille zur ewigen Ruhe gebettet worden war.
Natürlich beschränkte sich Dr. Kaulichs Bergsteigen nicht auf Rax und Schneeberg. In Prag hatte er seine Jugend verlebt und die Sommerferien im Gschnitztal verbracht. Daher kam es wohl, daß er Urgesteinberge und Eistouren bevorzugte. Nach mehrjährigem Aufenthalt in England ließ er sich in Wien nieder; von hier aus durchstreifte er die Ostalpen, von denen ihm fast keine Gruppe unbekannt blieb. Erst nach dem ersten Weltkriege ging er durch einige Jahre in die Westalpen, wo ihm mit Emil Meletzki unter anderem die Längsüberschreitung des Montblanc im wahrsten Sinne des Wortes glückte, denn vom Wetter war er nicht begünstigt, ebensowenig wie ich selbst. So kam es, daß wir zusammen so manche Tour vom Anfang bis zum Ende in strömendem Regen und Schneegestöber durchführten. Immer aber war er derjenige, der noch weniger zum Nachgeben bereit war und trotz Wetterungunst und schlechtesten Schneeverhältnisse den Gipfel erzwang.- Um seinen als typischen Alleingeher bis zum Eigenwillen gesteigerten Willen durchzusetzen, nahm er aber auch die größten Opfer auf sich und war im Schneestapfen und -spuren von einer Unermüdlichkeit, die man dem kleinen Mann kaum zugetraut hätte. Er war jedoch nicht einseitig und verstand auch warmen Sonnenschein und blauen Himmel auf Bergeshöhe zu genießen, über alles mögliche sprachen wir da, und immer — über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg — war die Unterhaltung mit dem geistvollen und vielseitig gebildeten kleinen Doktor ein Gewinn.
Nun weißt du, lieber alter Bergkamerad, was uns jenseits des irdischen Lebens erwartet und wer von uns beiden recht hatte, doch kannst du es mir nicht sagen. Lebe wohl, ich denke an dich, und am meisten, wenn ich in Regen, Schnee und Sturm allein wandere!
Dr. Carl Kirschbaum.
Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1947, Folge 1236, Seite 187-188
Gestorben am:
05.01.1946
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