Winkler Georg

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Biografie:
Winkler Georg,* München,+ Weißhorn-Westwand (Walliser Alpen)

Georg Winkler gehörte zu den größten Bergsteiger seiner Zeit und hatte sich vor allem als Alleingänger hervorgetan. Er war schon in jungen Jahren als Kletterer und bergsteigender Abenteurer unterwegs und zählte zu den wagemutigsten jungen Bergsteiger. Winkler hat sich auch als guter Turner hervorgetan.
Mit vielen schweren Erstbegehungen stellte er seine Leistungsfähigkeit unter Beweis und machte sich schnell einen großen Namen.
Im Frühjahr 1886 durchkletterte er die schneegefüllte Schlucht zwischen Totenkirchl und Karlspitze, die heute seinen Namen trägt. Erst 1886 wurde die Cima della Madonna in der Palagruppe erstmals bestiegen. Im August machte sich der damals 16 jährige Georg Winkler mit seinem Augsburger Freund Alois Zott auf, den jungfräulichen Berg über einen Kamin "Winklerkamin" zu erklettern. Am 16.August 1887 durchsteigt er allein erstmals die Laurinswand im Rosengarten. Seine Sternstunde war sicherlich die este Besteigung eines der Vajolett-Türme im Rosengarten, der für immer seinen Namen tragen wird.
Nach dem er auf das Zinalrothorn gestiegen ist, wollte er am 16.August 1888 allein das Weißhorn überschreiten. Seither fehlte jede Nachricht. Der Tod von Georg Winkler bleibt ein Geheimnis. Seine sterblichen Überreste wurden erst 68 Jahre später, am 29.Juli 1956 gefunden.
Eine Gedenktafel in Ayer im Val d'Anniviers erinnert an den jungen Münchner, dessen kurze alpine Karriere in den Bayerischen Voralpen begann, seine Fortsetzung an den Vajolett-Türmen in den Dolomiten fand und am Weißhorn im Wallis endete.
Winkler war Kletterpartner und Freund von Albrecht von Krafft.

1884 Best.Wendelstein,1838m, (Mangfallgebirge)
1884 Best.Schlierseer Bodenschneid,1668m, (Mangfallgebirge)
1884 Best.Zugspitze,2962m, (Wetterstein)
1885 Best.Trettachspitze,2595m, (Allgäuer Alpen)
1885 Best.Mädelegabel,2645m, (Allgäuer Alpen)
1885 Best.Fluchthorn,3399m, (Silvretta)
1885 Best.Kuchenspitze,3148m, (Ferwall)
1885 Best.Piz Buin,3312m, (Silvretta)
1885 Best.Ackerlspitze aus dem Griesener Kar,2331m, (Wilder Kaiser)
1885 Best.Ellmauer Halt,2344m, (Wilder Kaiser)
1885 Best.Sonneck,2261m, (Wilder Kaiser)
1886 2.Best.Fleischbankspitze von der Hinteren Karlspitze,2187m, (Wilder Kaiser)
1886 Beg.Totenkirchl-Südostgrat,2190m, (Wilder Kaiser)
1886 Beg.Totenkirchl "Zottkamin",III,250 HM,2193m, (Wilder Kaiser)
1886 3.Best.u.1.Alleinbeg.Totenkirchl über "Zottweg",2193m, (Wilder Kaiser)
1886 1.Beg.Totenkirchl-Südwand "Winklerschlucht",IV,450 HM bis Winklerscharte,2193m, (Wilder Kaiser)
1886 1.Best.Totensessel über Totensesselschlucht,III,1745m, (Wilder Kaiser)
1886 1.Beg.Totensessel-Abstieg nach Nordwesten,1745m, (Wilder Kaiser)
1886 1.Beg.Vordere-Goinger-Halt-Südgrat,II,200 HM,2242m, (Wilder Kaiser)
1886 Best.Karlspitze,2281m, (Wilder Kaiser)
1886 Best.Fleischbank,2187m, (Wilder Kaiser)
1886 2.Best.Kleine Zinne,2857m, (Sextener Dolomiten)
1886 Best.Croda dal Lago,2701m, (Ampezzaner Dolomiten)
1886 Best.Pala di San Martino,2987m, (Pala,Dolomiten)
1886 8.Best.Sass Maor,2814m, (Pala)
1886 1.Best.Sass Maor-Westturm, (Pala,Dolomiten)
1886 1.Best.Cima della Madonna über "Winklerkamin",2733m, (Pala,Dolomiten)
1887 1.Alleinbest.Cima Canali über Südgrat "Normalroute",II-III,2897m, (Pala,Dolomiten)
1887 1.Best.(Alleinbeg.)Winklerturm über Südostwand "Winklerriß",IV+,150 HM,2800 m, (Rosengarten)
1887 1.Best.(Alleinbest.).Laurins Wand über Ostflanke "Normalführe",II,120 HM,2819m, (Rosengarten)
1887 Best.Hochfeiler,3510m, (Zillertaler Alpen)
1887 Best.Olperer,3476m, (Zillertaler Alpen)
1887 1.Beg.Haunold-Nordseite "Winkler-Führe",2966m, (Sextener Dolomiten)
1887 2.Best.u.1.Alleinbest.Dreischusterspitze von Innerfeld,3145m, (Sextener Dolomiten)
1887 Best.Monte Cristallo,3216m, (Ampezzaner Dolomiten)
1887 2.Best.Piz Popena aus der Cristalloscharte,3152m, (Ampezzaner Dolomiten)
1887 1.Best.Mittlerer Zwölferkofel von Südseite über Südsüdostsporn "Winkler-Schmitt-Führe",III,500 HM,3029m, (Sextener Dolomiten)
1887 1.Beg.Mittlerer Zwölfer-Nordgipfel (Croda Antonio Berti)-Schartenschlucht,3023m,
(Sextener Dolomiten)
1887 1.Beg.Hoher Zwölfer-Südwestsporn "Winkler-Schmitt",III,500 HM,3094m, (Sextener Dolomiten)
1887 1.Beg.Hoher Zwölfer (Croda dei Toni, Cima Dodici)-Südsüdostsporn von der Hohen
Zwölferscharte "Normalweg",3094m, (Sextener Dolomiten)
1887 Best.Becco di Mezzodi,2603m, (Ampezzaner Dolomiten)
1887 Best.Cima di Canali,2897m, (Pala,Dolomiten)
1887 1.Beg.(Alleinbeg.)Hohe Gaisl-Nordostwand "Eisrinne",IV,3148m, (Pragser Dolomiten)
1887 Alleinbest.Grohmannspitze,3126m, (Langkofelgruppe,Dolomiten)
1887 Best.Marmolata,3343m, (Dolomiten)
1887 Best.Bec de Mesdi (Bamberger Spitze),2964m, (Sella,Dolomiten)
1887 Best.Antelao,3264m, (Dolomiten)
1887 Alleinüberschr. 3 Halten,2344m, (Wilder Kaiser)
1888 Alleinbest.Zinalrothorn,4221m, (Walliser Alpen)
Beg.Hohe Gaisl (Croda Rosso d' Ampezzo)-Ostwand
"Schlögl-Ehrenkreuz-Innerkofler-Führe",III-IV,3148m, (Pragser Dolomiten)
Gerd Schauer, Isny im Allgäu

geboren in München (Deutschland)
gestorben am Weißhorn (Schweiz)



Erinnerungen an Georg Winkler.
Von R. Sinwel, Kufstein.
Im heurigen Sommer sind es 50 Jahre, seitdem ich das Glück hatte, mit dem unvergeßlichen Gipfelbezwinger Georg Winkler Bekanntschaft zu machen und Freundschaft zu schließen. Und das kam so.
Wie alljährlich verbrachte ich meine Universitätsferien auch im Jahre 1885 in Kufstein. Im selben Hause wohnte Professor Johann Friedrich aus München, seit vielen Jahren ein regelmäßiger Sommergast Kufsteins. Eines Tages fragte mich Professor Friedrich, ob ich Lust hätte, ihn auf seiner Reise ins Paznauntal zum Besuche des Malers Matthias Schmid zu begleiten. Ob ich Lust hatte! Mit Freuden schlug ich ein, und am 18. August, einem schönen Kaisertage, trug uns das Dampfroß durch das heitere Unterinntal und das ernste Oberland unserem Ziel entgegen. In Silz wurde die Fahrt unterbrochen, um in der „Post" Mittag zu machen und zum Schloß Petersberg hinaufzusteigen. In Pians verließen wir endgültig den Zug und wanderten auf Schusters Rappen dem Tale der Trisanna zu, an dessen Eingang die stattliche Burg Wiesberg stolze Wache hält. Staunend bewunderten wir den kühnen Bau der Trisannabrücke, über dessen zart erscheinendes Stahlnetz soeben, klein wie ein Kinderspielzeug, ein Güterzug kroch, und nicht ohne Schauer durchschritten wir die düstere, vom Getöse des Wildwassers erfüllte Trisannaschlucht. Bald öffnete sich das Tal und winkte uns der Kirchturm von See, des Geburtsortes von Matthias Schmid. Vergeblich suchten wir jedoch in der Kirche jenes erste „Kunstwerk" des großen Malers, das er als jugendlicher „Tuifelemaler" hier ausführte, indem er im Auftrage des sittenstrengen Pfarrers das splitternackte Stammelternpaar Adam und Eva auf einem Deckengemälde mit schamverhüllenden Weinranken übermalte.
Obwohl das Paznauntal von hohen, teilweise vergletscherten Gebirgen umschlossen ist, machte es doch, weil wir nur die sanftgeformten, almen-, Wald- und wiesenbedeckten Vorberge sahen, keinen überwältigenden, aber auch keinen heiteren, sondern einen mehr ernsten Eindruck. Dies ist wohl in erster Linie auf die eintönig wirkende Armut der Pflanzenwelt — Getreidefelder sind spärlich, Obstbäume fehlen fast ganz — zurückzuführen. Auch die fast durchwegs nur aus Holz gebauten und altersgeschwärzten Bauernhäuser bescheidener Größe verstärken diesen Eindruck. Überdies kamen wir, auf dem schmalen Sträßchen taleinwärts wandernd, an zahllosen Marterln vorüber, die uns an die Menschenfeindlichkeit der Gebirgsnatur mahnten und sich meist auf Unglücksfälle bezogen, die durch Lawinenstürze verursacht wurden. Als wir uns dem Dorfe Kappl näherten, sahen wir am Weg einen Maler an seiner Staffelei arbeiten: einen stattlichen Mann mit breitkrempigem Schlapphut, scharf geschnittenem Gesicht und leicht angegrautem Knebelbart. Es war Meister Schmid. Als er unser gewahr wurde, kam er uns lächelnd entgegen, und nach freudiger Begrüßung packte er sein Malzeug zusammen, um mit uns nach Ischgl, wo er mit seiner Familie wohnte, zu gehen. Die Aufnahme seitens der Familie Schmid — Frau Töchter und Sohn — war eine so ungekünstelt herzliche und der Verkehrston vom ersten Augenblick ein so zwanglos schlichter und offener, daß selbst ich sonst so schüchterner Knabe mich allsogleich daheim fühlte und auftaute. Bei der Familie Schmid befand sich damals auch auf Besuch ein Mitschüler des Sohnes Karl, der an einem Münchner Gymnasium studierte, nämlich Georg Winkler, ein zwar strammes, aber schmächtiges Bürschchen unter Mittelgröße, mit weichen, fast mädchenhaften Gesichtszügen, eine unscheinbare Persönlichkeit, die bei ihrem ersten Anblick die ungewöhnlichen geistigen und körperlichen Kräfte, die ihr innewohnten, nicht vermuten ließ. Er war, wie ich im Laufe der nächsten Tage erfuhr, der 16jährige Sohn eines vermögenden Fleischhauers in München, der ihn alljährlich nach halbwegs befriedigendem Abschluß des Schuljahres — Georg war kein Musterschüler — mit einem stattlichen Geldbetrag ausstattete und nach freier Wahl auf Reisen und Wanderungen gehen ließ. Und sein Reise- und Wanderziel waren immer die Alpen, deren Felsen- und Eiswelt er sich mit Leib und Seele verschrieben hatte. Auch im damaligen Sommer hatte er bereits einige ansehnliche Hochtouren, darunter die Besteigung des Fluchthorns (3389 m), hinter sich. Wir drei Jungen freundeten uns rasch an und steckten fortan immer' beisammen, ob es leichte Talwanderungen in größerer Gesellschaft gab oder ob wir nur zu dritt in die Berge stiegen. Ich erinnere mich da noch eines schönen Ausfluges auf eine hochgelegene Alm im Fimbertal, wobei wir wiederholt von Schnee- und Rieselschauern überrascht wurden und mit einer schneidigen Abfahrt auf unseren Nagelschuhen über eine steile Grashalde den Abschluß machten.
Ganz besonders lebhaft in Erinnerung geblieben ist mir eine zweitägige Wanderfahrt in die Jamtaler Ferner. Der Weg führte uns drei zunächst durch das obere Paznauntal über Mathon nach Galtür. Auf dieser Strecke liegt eine Anzahl mächtiger Findlinge, einzelne bis zur Größe von kleinen Häusern. Ihre, meist senkrechten und scheinbar glatten Wände übten auf Winkler einen unwiderstehlichen Reiz aus, an ihnen seine Kletterkunst zu erproben. Da sahen wir ihn denn mit, katzenartiger Behendigkeit und Leichtigkeit, mit erstaunlichen Klimmzügen und schier unheimlichen Grätschstellungen sich emporarbeiten und einen nach dem anderen dieser abweisenden Felsblöcke überwältigen, ungeachtet unserer Warnungen und unseres Murrens wegen der unsinnigen Zeitversäumnis. Und nun stand er wieder einmal sieghaft auf einem solchen Riesenfindling und schwang, übermütig auf uns herabblickend, sein Hütchen. Die Suche nach dem Abstieg schien ihm jedoch diesmal sichtlich Verlegenheit zu bereiten, und plötzlich erklärte er allen Ernstes, er könne nicht mehr herunter, wir möchten ihm mit einer Leiter oder Stange zu Hilfe kommen. Was blieb uns anderes übrig, als seine Bitte zu erfüllen? Glücklicherweise war der nächste Bauernhof nicht allzufern, und es gelang uns, dort eine mächtige Stange aufzutreiben, wie sie wohl als Stütze für große Heu- und Streutristen zu dienen pflegen. Als wir zwei sie mit vereinten Kräften heranschleppten, war Winkt er schon wieder vom Stein herunten und lachte uns aus vollem Hals aus. Er hatte uns offenbar nur genarrt. Unsere Entrüstung über diesen „schlechten Witz" war natürlich nicht gering, und ich ließ mich damals in meinem Unmut zur Prophezeiung hinreißen, daß er gewiß noch einmal ein Opfer seiner Waghalsigkeit und Kraxelwut werde.
Unser Jörn hielt jedoch nicht lange an und die weitere Wanderung verlief in schönster Harmonie. In Galtür, wo wir vergnügt Mittag machten, kehrte Karl Schmid um, wogegen Winkler und ich ins Jamtal marschierten. Da eröffnete sich für mich eine neue Welt. So herrliche Zirben hatte ich noch nie gesehen; die Murmeltiere, die da in Menge ihr possierliches Wesen trieben, und dann die großartige Gletscherwelt, in deren Mitte die Jamtalhütte steht, waren mir ganz unbekannte Dinge. Rings um den geschlossenen Eisschild der Ferner ragten einzelne Felsgipfel empor, die Winklers lebhaftes Interesse erweckten. Er hatte es auf einen derselben, auf die Vordere Jamtalfernerspitze (3169 m), abgesehen. Ich war abends Zeuge seines darob mit dem Hüttenwirt geführten Gespräches, der ihm dringend davon abriet, die beabsichtigte Tour ohne Führer zu machen; der Weg sei schwierig zu finden und der Gletscher tückisch. Als ich aber am nächsten Morgen aufstand, um wieder talauswärts zu wandern, war Winkler nicht mehr zu sehen. Er war schon frühmorgens allein aufgebrochen, um die genannte Spitze zu erobern, und er konnte sich noch am Abend desselben Tages in Ischgl rühmen, daß es ihm gelungen sei; er habe seine Besuchskarte auf dem Gipfel hinterlegt.
Allzu rasch flohen die Tage unseres kurzen Aufenthaltes in Paznaun dahin, und nicht leichten Herzens nahmen wir Abschied von den lieben Menschen, bei denen wir zu Besuch gewesen, und von dem in jeder Hinsicht eigenartigen, schönen Hochtal. Mit Winkler gab es allerdings ein baldiges Wiedersehen in Kufstein, Er traf dort am 31. August ein, um das Kaisergebirge kennenzulernen, das ihm zur Hochschule seiner Kletterkunst und zur Wiege eines Bergsteigerruhmes werden sollte. Was er im Kaisergebirge geleistet hat, und was er für dessen Touristik bedeutete, das ist in dem prächtigen, von Erich König herausgegebenen Buch „Empor!" wie auch in Fr. Nieberls Buch „Die Erschließung des Kaisergebirges" für immer pietätvoll festgehalten.*)
Zur Erholung von seiner bergsteigerischen Betätigung im Kaisergebirge hielt sich Winkler wiederholt in Kufstein auf, wo wir, falls ich zu gleicher Zeit dort weilte, regen Verkehr pflegten und mit meinem Jugendfreund Otto Reisch ein gut zusammengestimmtes Kleeblatt bildeten. Wir machten mitsammen kleinere Ausflüge in der Umgebung Kufsteins, mit Vorliebe nach dem bayrischen Biermekka Kiefersfelden, besuchten wiederholt die Schwimmschule oder trafen uns bei ungünstigem Wetter auf einen Schoppen im Hotel Egger und vertrugen uns immer vortrefflich; denn Winkler war ein angenehmer Gesellschafter und guter Kamerad, nicht geschwätzig und prahlerisch, nicht rechthaberisch und eigensüchtig, trotz seiner mehr ernsten Grundanlage doch manchmal recht witzig, er hatte Sinn für Gemütlichkeit und war kein Spielverderber.
Zum letztenmal war ich mit Georg Winkler beisammen anläßlich eines Winterausfluges zum 6. Kaiserhof am 28. Dezember 1886 in einer Gesellschaft, der auch Dekan Hoerfarter angehörte. Seine drei kurzen Aufenthalte im Kaisergebirge während des Jahres 1887 gaben uns keine Gelegenheit zum Wiedersehen, und im Sommer des nächsten Jahres las ich in einem Tagesblatt die mich tief erschütternde Kunde von dem jähen Lawinentode, den er am 16. August 1888 am Zermatter Weißhorn gefunden hatte. Meine wahrlich nicht bös gemeinte Prophezeiung hatte sich also grausam erfüllt. Kaum je dürfte ein so jugendliches Bergopfer in den weitesten Alpinistenkreisen so lebhaft betrauert worden sein wie Georg Winkler.
Er, der durch eine seltene Frühreife seines Charakters und Geistes wie durch die einzigartig zu nennende Bereinigung der physischen und psychischen Grundbedingungen zu einem vorbildlichen Hochtouristen zu den schönsten Hoffnungen berechtigte, war nach raketenähnllchem, weithin leuchtendem Aufstieg plötzlich in die Nacht des Todes versunken. Nicht aber zugleich in die Nacht der Vergessenheit; denn im alpinistischen Schrifttum, noch mehr in den steinernen Riesendenkmälern der Natur, an denen sein Name haftet, lebt er in aller Zukunft fort.
*) Um so auffallender ist die Tatsache, daß in Schwaigers „Führer durch das Kaisergebirge" (2 Aufl. 1904) Gg. Winklers hervorragender Anteil an der Geschichte der Kaiserbergtouristik kaum gewürdigt ist und beispielsweise seine 1. Alleinbesteigung des Totenkirchls am 27. August 1886 sowie dessen Erstbesteigung der Ackerlspitze vom Griesnerkar aus am .3. September 1883 gar nicht erwähnt sind.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1935, Seite 228-229

Erinnerungen an Georg Winkler.
In der Anmerkung zu dem unter dieser Überschrift in der letzten Nummer der „Mitteilungen" erschienenen Aufsatz von R. Sinwel wird es als auffallend bezeichnet, daß im Kaiserführer die 1. Alleinbesteigung des Totenkirchls durch Winkler und dessen 1. Ersteigung der Ackerlspitze vom Griesnerkar nicht erwähnt sind. Als Verfasser des Kaiserführers muß ich dazu erklären, daß die den Gipfeln jeweils beigefügte kurze Ersteigungsgeschichte nur die Erstbegehungen schlechthin enthält, nicht etwa erste führerlose, erste Winter-, erste „Alleingeherbesteigungen" usw. Winkler hat das Totenkirchl auf dem Weg erstiegen, den vor ihm schon Dr. Zott und die Gebrüder Zametzer begangen hatten, daher konnte von dieser Tour keine Notiz genommen werden. Ebenso ist der Aufstieg auf die Ackerlspitze deshalb nicht erwähnt, weil diese Tour schon vorher von G. Hofmann und A. Hild mit Führer Widauer im Abstieg begangen worden war und der Aufstieg keineswegs größere Schwierigkeiten bietet als der Abstieg. Eine böse Absicht, dem alpinen Ruhm Winklers Abbruch zu tun, wie die Anmerkung vermuten lassen könnte, lag gewiß nicht vor, dazu hatte ich nicht den mindesten Anlaß. Die tatsächlichen ersten Begehungen Winklers im Kaisergebirge: Totensessel, Winklerschlucht, Südgrat der Vorderen Goinger Halt, sind im Führer alle erwähnt.
Dr. Georg Leuchs.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1935, Seite 262

Quelle: Der Bergsteiger 1938/39, Seite 179 ff
Quelle: Österr. Alpenzeitung 1939/40, Seite 234 ff
Quelle: Mitteilungen des DAV 1956, Seite 134 ff
Quelle: SAC Die Alpen 1956, Seite 180 f

Georg Winkler (1869-1888)
Georg Winkler kam am 26. August 1869 in einem Münchner Bürgerhaus zur Welt. Das war im Gründungsjahr des Deutschen Alpenvereins. Die Berge übten auf den kleinen, aber sehr kräftigen Jungen eine wachsende Anziehungskraft aus Ab 1884 legte er ein Tourenbuch an und überschrieb es „Meine Wanderungen im Hochgebirge." Meist knappe, sachliche Notizen mit Daten, Uhrzeiten und Kostenangaben. Ein: Reihe von Bergnamen: 1884 Zugspitze; 1885 Trettachspitze Mädelegabel, Fluchthorn, Kuchenspitze, Piz Buin; Herbstfahrten im Wilden Kaiser: Sonneck, Eilmauer Halt, Ackerlspitze. Im Frühjahr 1886 häufiger Gast in Hinterbärenbad. Es reizte ihn die unbegangene, schneegefüllte Steilschlucht zwischen Totenkirchl und Karlspitze. Nach einem im Gewitter gescheiterten Versuch gelang ihm der Durchstieg am 26. April 1886. Seither gibt es im Sprachgebrauch der Bergsteiger eine Winklerscharte und eine Winklerschlucht. Im Sommer lud ihn Dr. Zott, mit dem er dessen Kamin am Totenkirchl durchklettert hatte, zu einer erfolgreichen Dolomitenfahrt ein: Kleine Zinne (2. führerlose Ersteigung), Croda da Lago, Sass Maor und Cima della Madonna (1. Ersteigung). Die beiden biwakierten auf dem Gipfel und träumten von der fernen Adria im Mondschein.
Anschließend war Winkler wieder allein unterwegs: Pala di San Martino, Hochfeiler, Olperer, Totenkirchl (3. Ersteigung). Das Jahr 1887 war ihm, dem immer verwegener werdenden Alleinkletterer, gnädig. Vom Kaiser ging es wieder in die Dolomiten: Dreischusterspitze als Zweitersteiger auf den Spuren Zsigmondys, Cristallo und Popena, Zwölfer auf neuem Wege, Becco di Mezzodi, Cima di Canali ... Einige dieser Touren hatte er mit dem geistesverwandten Robert Hans Schmitt aus Wien, dem Erstersteiger des Schmittkamins an der Fünffingerspitze und des Totenkirchl-Südostgrates, unternommen. Dieser hatte zu Freunden gesagt: „Mit Winkler geh ich nicht mehr, der ist mir zu verwegen!"
Am 17. September 1887 gelang Georg Winkler sein Meister-stück: die Erstersteigung des kühnsten Vajoletturms, des Winklerturms. Der Dolomitenführer Anton Bergmann, der seilfrei vom Winklerturm abstieg, sagte anerkennend: „A sakrischer Kerl muaß er g'wesen sein, der Winkler!" Ein bekannter italienischer Alpinist würdigte Winklers Tat mit den Worten: „Ich beklage, daß es nicht ein italienischer Jüngling war, der diesen Berg zuerst bezwang."
Mit Eintragungen über Grohmannspitze, Marmolata und Boé und einem Abschied vom Wilden Kaiser am 28. September 1887 'endeten seine Notizen im Tagebuch.
Sich am Vorbild Guido Eugen Lammers, des wagemutigen Eisgehers, begeisternd, trat Winkler mit diesem in Briefwechsel und bereitete sich auf eine Westalpenfahrt im August 1888 vor. Am 14. August erkletterte er allein das Zinalrothorn. Am nächsten Tag schrieb er einen ausführlichen Brief an seinen Freund Arthur Dietz: „Die Gletschersonne wirkte furchtbar. Ich bin, wie Whymper sagt, auf Gletschern gebraten und auf Felsen geröstet. Kopf und Hände brennen wie Feuer und erheischen einige Zeit Kampfesrast. Leb wohl und nimm einen Händedruck von Deinem Georg."
68 Jahre lang galt er als verschollen. Über die Auffindung der Überreste von Georg Winkler und die Beerdigung im Wallis berichtet Hanns Billmeier: „Am 16. August 1888 brach Winkler von einer kleinen Almhütte oberhalb Zinal zu einer Besteigung des Weißhorns über seine schwierige, lawinen- und eisschlaggefährdete, noch unerstiegene Westwand auf, und von dieser Tour kehrte er nicht mehr zurück. Eine Lawine hatte ihn vermutlich über die Westwand hinabgerissen und in einer Gletscherspalte verschüttet. Tagelang wurde nach Winkler gesucht. Lediglich eine Wollmütze und ein Photo wurden am Fuß der Westwand gefunden. Schmerzgebeugt war sein Vater nach Zinal gekommen, aber es sollte ihm nicht vergönnt sein, am Grabe seines Sohnes zu stehen. Erst am 29. Juli 1956, also nach 68 Jahren, gab der Gletscher die sterblichen Überreste frei. Zwei führerlose Bergsteiger entdeckten am Rande des Weißhorngletschers, auf dem Eis liegend, ein menschliches Gerippe. Es war 20 m auseinander-gezogen, aber dem anatomischen Bau des Körpers entsprechend völlig geordnet. Der in den letzten Jahren zu beobachtende Gletscherrückgang, der auch ein Abschmelzen der Dicke des Gletschers mit sich bringt, bewirkte, daß Winkler am Gletscherrand freigelegt wurde. Der Kopf wies eine schwere Schädelverletzung auf, woraus zu 'schließen ist, daß die im Jahre 1888 angestellte Vermutung, daß Winkler über die felsige Westwand des Weißhorns herabgestürzt sei, richtig ist. Auf Grund dieser schweren Schädelverletzung war Winkler wohl sofort tot. Neben der Leiche fand man das Seil, seinen Berghut, seine benagelten Bergstiefel, eine Tabakspfeife und eine Geldbörse mit Goldmünzen in Schweizer, deutscher und belgischer Währung. Der Bruder Winklers erinnert sich, daß nach einer Familienüberlieferung eine Verwandte Georg drei Goldstücke in seine lederne Berghose eingenäht hat. In der Geldbörse fand sich eine Rechnung eines Hotels in Zinal, auf Grund welcher er als Georg Winkler aus München identifiziert werden konnte. Im Fremdenbuch des Hotels ist heute noch sein Eintrag und einige Tage später der seines Vaters zu sehen. Winkler bezeichnete sich als med. cand.; er wollte also nach den Ferien mit dem medizinischen Studium beginnen. Bergführer brachten die Leiche Winklers zu Tal. Ein Aufruf der Münchener Polizei bewirkte, daß sich die Geschwister Winklers, an der Spitze Generalmajor a. D. Max Winkler, selbst ein bekannter Alpinist und Pionier des alpinen Skilaufes, meldeten.
Am 11. August 1956 wurde, was von Georg Winkler sterblich ist, der geweihten Erde des Friedhofes von Ayer im Val d'Aniviers übergeben. Der Bruder des Verstorbenen, Generalmajor a. D. Winkler, und seine Gattin standen am Grabe. Der Hauptausschuß des Deutschen Alpenvereins war durch Hanns Billmeier aus München vertreten, der für den DAV und für die Alpenvereinssektion München, der Winkler bis zu seinem Tode angehörte, ehrende Worte des Gedenkens sprach und zwei Kränze niederlegte. Da der größte Teil der Trauerversammlung nicht deutsch verstand, hat Billmeier den Schluß seiner Gedächtnisworte auf französisch wiederholt; eine Geste, die von den anwesenden Trauergästen dankbar vermerkt wurde. Sehr stark war an der Beerdigung die Anteilnahme der einheimischen Bevölkerung und der Sommergäste. Das Zentralkomitee des Schweizer Alpenklubs und die Sektion Monte Rosa des SAC waren ebenfalls vertreten, desgleichen die Führerschaft des Val d'Aniviers, die einen Kranz widmete. Als offizielle Vertreter der Schweizer Behörden waren der zuständige Bezirkspräsident, der Polizeichef von Sion und der Bürgermeister von Ayer und Zinal anwesend, Einen sehr schönen Brauch zeigten die Vertreter des Schweizer Alpenklubs und die Führer des Tales. Sie hatten ihre Eispickel mit prächtig gestickten seidenen Standarten versehen, die sie trauerumflort während der Aussegnung an den aufgebahrten Sarg lehnten. Winkler wurde unmittelbar neben der Außenmauer der Kirche begraben. Eine Bronzetafel, die durch die Familie Winkler beschafft wird, soll an der Mauer angebracht werden.
Die Berge, die Georg Winkler so sehr geliebt hat und die ihn, den jugendlichen Stürmer, auch behalten haben, halten Totenwache über seinem Grab."
Quelle: DAV Mitteilungen 1956, Heft 8, Seite 134-136

Quelle: Der Bergkamerad 1955/56, Seite 652 f

Wandernde „Gräber" im Gletschereis -
Zur Auffindung von Georg Winklers Leiche.
Vor kurzem wurde aus Zermatt, dem berühmten Bergsteigerort am Fuße des Matterhorns gemeldet, daß an einem der Gletscher des Weißhorns, eines der formenschönsten Gipfel der Westalpen, die Leiche Georg Winklers gefunden worden sei, der vor 68 Jahren, am 16. August 1888 an diesem Berg verschollen war. Eine
Nachricht des Zentralausschusses des DuöAV in München vom 22. August 1888 besagte, daß Winkler am 14. August allein das Zinalrothorn bestiegen habe. Am 16. August sei er von Zinal aufgebrochen, um, ebenfalls allein, das Weißhorn zu überschreiten. Seither fehle jede Nachricht. Georg Winkler gehörte zu den größten Bergsteigern seiner Zeit und hatte sich vor allem als Alleingänger hervorragend bewährt. Sein Tod, und besonders aber das Auffinden seiner Leiche am Rande eines Gletschers, rückt neuerlich ein Phänomen ins Blicklicht der Öffentlichkeit, das in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu beobachten war: Infolge der dauernden Veränderungen, die die Gletscher unserer Alpen durchmachen, besonders bedingt durch das
langsame Wandern des Eises vom oberen Firngebiet bis zur Schmelzzone an der Zunge eines Gletschers, werden von Zeit zu Zeit Funde gemäht, die manchen Unglücksfall im Hochgebirge nah vielen Jahren oder Jahrzehnten erst zur Aufklärung bringen.
Es handelt sich hier um die mehr oder weniger gut erhaltenen Leichen verschollener Bergsteiger, die den Bergtod fanden und seit dem Unfall verschollen blieben. Wie weit ein solcher Körper noh erhalten ist und damit identifiziert werden kann - falls andere Hinweise fehlen - hängt davon ab, wie fest das Eis ihn umschlossen hält und die Zufuhr von Luft verhindert.
Einige recht interessante Fälle von solchen Gletscherfunden seien besonders in Erinnerung gebracht. Am 11. August 1933 fanden drei Bergsteiger am Lisenser Ferner im Seilraintal in den Stubaier Alpen zwei Leichen samt morschgewordenen Rucksäcken und zahlreihen anderen Gegenständen. Es handelte sich um zwei Innsbrucker Bergsteiger, die auf den Tag genau 26 Jahre früher, am 11. August 1906 beim Anstieg auf den Fernerkogel in eine Spalte gestürzt waren, aus der sie sich nicht mehr befreien konnten. Auch das Ortlermassiv war mehrfach Schauplatz solcher Funde. Hier handelte es sich meistens um Leichen oder nur noch um die Gerippe von Soldaten des ersten Weltkrieges, die bei den Ortlerkämpfen im Gletschereis geblieben waren. Im Sommer 1952 entdeckten Touristen auf dem Weg vom Hauslabjoch zum Hochjoch in den Ötztaler Alpen einen aus dem Firnschnee herausragenden Rucksack. Weitere Nachforschungen führten zur Freilegung einer völlig vereisten Leiche. Es handelte sich um einen Musikprofessor aus Parma, der am 21. August 1941, also elf Jahre früher den Tod in einer Gletscherspalte gefunden hatte. - Um die gleiche Zeit wurde, ebenfalls in den Ötztalern, und zwar in der Kaunergratgruppe, die Leihe einer am 23. August 1923 in einer Gletscherspalte verschwundenen Bergsteigerin entdeckt, die nicht weniger als 30 Jahre im Eis gelegen war. Berühmt geworden ist ein Fall am Mont Blanc. Am 17. August 1820 waren beim Versuch, den Gipfel des Berges trotz schlechten Wetters zu erreichen, drei Führer aus Chamonix von einer Lawine in eine Gletscherspalte gerissen worden und konnten nicht mehr gefunden werden. Fast auf den Tag genau kamen die Leichen dieser Männer 41 Jahre später, am 15. August 1861 zum Vorschein. Sie wurden 2000 m unterhalb der Unglücksstelle gefunden, hatten also eine lange Wanderung mit dem Gletschereis hinter sich.
Auch das Matterhorn hat natürlich eine Reihe solcher Fälle aufzuweisen. Der berühmteste ist jener, der sich im Zusammenhang mit der Erstbesteigung abgespielt hat. Bekanntlich stürzten beim Abstieg nach erfolgreicher Eroberung des Gipfels, am 14. Juli 1865, drei Engländer und ein Führer tödlich über die Nordwand ab. Fast ein halbes Jahrhundert später erst gab der Gletscher am Fuß der Nordwand zwei Leichen frei, von denen man eine als die des Lord Douglas, eines der verunglückten Teilnehmer der Erstbesteigung ansprechen zu können glaubte.
Zum Schluß unseres Berichtes möchten wir noh eine kurze Begebenheit bringen, die der bekannte französische Bergführer und Schriftsteller Frison-Roche in seinem schönen Bergbuch „Seilgefährten“ einen Bergführer von Chamonix erzählen läßt: „Weißt Du, was die größte Freude war, die mein Vater in seinem Leben hatte?" heißt es
dort; „Als er vierzig Jahre nah dem Unglück meinen Großvater fast unverändert erhalten im Eis fand, das ihn vom Mont-Blanc-Gipfel in einem Eissarg bis zum unteren Ausläufer des Bossonsgletschers transportiert hatte. Großvater war ganz jung abgestürzt, viel jünger, als mein Vater damals war. Er hatte noh alles Haar und das Gesicht war ganz rosa, aber er war so durchgefroren, daß seine Augen hart waren wie Achatkugeln. 40 Jahre war er mit dem Gletsher gereist. Und all die Jahre wußte keiner zu Allerheiligen, wo man für ihn beten sollte ... Er hatte schon seinen Platz auf dem Friedhof. Man mußte ihn nur hinbringen, und es war, als ob die Familie sich auf einen Schlag wieder zusammengefunden hätte . . . Was mir den größ­ten Eindruck machte, war, meinen Großvater als einen jungen Menschen von 30 Jahren zu sehen. Ich war ein Kind, und ich konnte es nicht fassen, daß ein „Großvater" kein alter weißhaariger Mann sein sollte . . .
Quelle: Der Bergsteiger 1955-56, Heft 12 September 1956, Seite A 192-193

Quelle: Der Bergsteiger 1956/57, Seite 44 ff

GEORG WINKLER - KNABE UND KÖNIG
Kann man über einen Menschen, dessen Geschick sich bereits mit 19 Jahren erfüllt hat, einen Lebenslauf schreiben? Kann man die Bahn eines Meteors aufschreiben, der leuchtend durch, die stillen Felder des Himmels zieht und erlischt, ehe man ihn recht gesehen?
Darf man die Abenteuer eines unansehnlichen, beinahe schmalbrüstigen Bürschchens von 1.50m Körpergröße in einem Atemzug nennen mit den großen alpinen Unternehmungen in den Hochgebirgen der Welt?
Rein äußerlich gesehen können wir über Georg Winkler nicht mehr aussagen, als daß er als Erster den Gipfel der Cima della Madonna in der Pala-Gruppe erreicht, den kühnsten Vajolet-Turm bezwungen und über 50 andere Berge erstiegen hat. Aber das Wesen Georg Winklers reicht über die aufzählbaren Tatsachen seines kurzen Lebens weit hinaus. Georg Winkler steht nicht nur für das junge Bergsteigertum feiner Zeit, in seinem Lebensweg stellt sich das Wesen der Jugend schlechthin dar: rein, kühn, unbedingt und unmittelbar auf sich selbst bezogen! Er schreibt: „Ich bekenne offen, auf meinen Bergfahrten habe ich mich stets , bemüht, sportlich Anerkennenswertes zu leisten. Und wenn auch die Kraft nicht groß ist, der Wille war stets der beste. Ich bin mir klar geworden, was mich bei meinen Fahrten bewegt. Es ist die Gefahr, die, aufgesucht und überwunden, dem Manne unendliche Genugtuung und Befriedigung gewährt. Die Gefahr und die Großartigkeit des Hochgebirges in ihrer Vereinigung sind es, die uns dämonisch anlocken. . ."
Schon diese paar Sätze erschließen uns eine seltene Frühreife des Geistes und der Persönlichkeit. Dazu ist Winkler mit außerordentlichen Kräften ausgestattet, die niemand in diefem schmächtigen Körper vermutet hätte. Er ist ein guter Turner. In den ersten Jahren seiner früh erwachten Bergleidenschaft versucht sein Vater, ein wohlhabender Fleischhauermeister in München, dem Sohn seine "Verrücktheiten" auszutreiben. Aber Georgs Kletterlust ist nicht zu bändigen. Er laßt sie in Ermangelung besserer Gegenstände an der Vorderfront des väterlichen Hauses, an den Pfeilern der Großhesseloher Brücke und im Gefels des Isartales aus. Aber dann darf das fünfzehnjährige Studentlein 1884 zum ersten Mal in den Wilden Kaiser. 1885 gelingt ihm dort die Erstersteigung des Totensessels und die erste Alleinbegehung des gefürchteten Totenkirchls.
Im Alleingehen findet Winkler seine höchste Befriedigung. Da ihm Überhänge auf Grund seiner Kleinheit sehr zu schaffen machen, verfertigt er sich selbst einen Wurfanker; diesen befestigt er am Seil, schleudert ihn über die sperrende Stelle, bis sich die scharfen Zacken irgendwo festkrallen, dann turnt er am Seil hoch. Unter anderem hat er den Sperrblock im Gipfelriß der Kleinen Zinne mit Hilfe dieses Wurfankers bezwungen. Immer heftiger sucht Winkler die Grenze seiner Leistungsfähigkeit zu erreichen, immer steiler sind die Berge, die er angeht, und oft verbeißt er sich so in sein Tun, daß ihn die Dunkelheit am Berg festbannt. Aber er biwakiert - man ist zu sagen versucht - mit dem größten Vergnügen. Am Zwölfer in den Sextener Dolomiten hat er eine wüste Sturmnacht zu überstehen; nach der Erstersteigung der Cima della Madonna verbringt er eine eisige Nacht auf deren Gipfel. Wir sehen darin heute ein Zeichen der Zeit: der wohlhabende Fleischhauermeister Alois Winkler in München, bürgerlich und bieder, das Urbild spießerischer Behaglichkeit, setzt einen Sohn in die Welt, seinen einzigen, der allen Plänen und Wünschen seiner Eltern zum Trotz in die Berge zieht, ein wildes und ungestümes Leben beginnt, und - ehe er noch richtig begonnen hat - in den Fluchten eines großen Berges für immer verschwindet.
Georg Winkler kündet den Aufbruch eines neuen Geschlechtes aus der bürgerlichen Enge und Beschränktheit an, drei Jahrzehnte ehe dieser Aufbruch den ganzen Erdball erschüttert.
Im Jahre 1887 erlebt die alpine Welt ein seltsames Schauspiel: ein blasser 18jähriger Münchener Student geht die Vajolet-Türme an, die für vollkommen unersteiglich galten, und ersteigt den wildesten Turm im Allleingang. Der Turm führt seither seinen Namen. Beim Abstieg streifen ihn zum ersten Mal die Schwingen des Todes. Er seilt sich eben eine senkrechte Wandstufe ab, da prasselt wilder Steinschlag nieder und zerschlägt das Seil, an dem er hängt, bis auf wenige Fasern: der Schatten über dem stolzesten Erfolg seiner kurzen Bergsteigerlaufbahn. Zu niemandem spricht er von diesem Ereignis, nur seinem Tagebuch vertraut er es an. Dieses Tagebuch selbst gibt Zeugnis eines kühlen, klaren Geistes; der Jüngling lebte der Butzenscheibenromantik seiner Zeitgenossen weit voraus. Und Georg Winkler drängt weiter. Die Eisriesen der Westalpen locken ihn. Glänzend besteht er sein Abitur und zieht gleich darauf neuen Zielen entgegen.
Als Alleingänger besteigt er das Zinalrothorn über die Flanke von Mountet. Zwei Tage später, am 16. August 1889, wagt er sich allein in die Lawinenwand des Zermatter Weißhorns. Ein alter Hirte sieht ihn noch des Morgens über die Matten aufwärts eilen und im Fels verschwinden. Dann erlischt die leuchtende Spur des Meteors.
Der Neunzehnjährige hat der Welt nichts hinterlassen als die Erinnerung an ein kühnes, einsames Herz.
Heinrich Klier
Quelle: Mitteilungen des ÖAV 1956, Heft 4-5, Seite 36

Quelle: Der Bergsteiger 1956/57, Seite 44 ff
Quelle: Österr. Alpenzeitung 1957, Seite 111 f
Quelle: Mitteilungen des DAV 1957, Seite 117 f (siehe Anhang)

Gedenktafel für Georg Winkler eingeweiht
Im Sommer 1967 wurde eine Gedenktafel über dem frisch hergerichteten Grab von Georg Winkler in Ayer (Wallis) angebracht und in Anwesenheit der Gemeinde sowie des 1. Vorsitzenden und des Tourenführers der Sektion München, Dr. Berger und W. Schmidt, vom Gemeindepfarrer feierlich eingeweiht. Das Anbringen der Tafel und Herrichten des Grabes sind von der Sektion München veranlaßt worden.
Bekanntlich wurde die Leiche Winklers erst 1956 vom Weißhorngletscher freigegeben, nachdem er seit seinem Versuch im Jahre 1888, das Weißhorn über die Westwand erstmals zu ersteigen, vermißt war.
Quelle: Mitteilungen des DAV 1968, Heft 1, Seite 35

Quelle: Der Bergsteiger 1969, Seite 765 ff (siehe Anhang)

Georg Winkler (1869-1888)
Am 26. August 1869 in München geboren, war er ein wenig das Sorgenkind seines Vaters, Metzgermeister im Tal, der ihn an der Wand des Elternhauses klettern sah. Immerhin war Georg in der Schule als talentierter Turner bekannt. Der Siebzehnjährige fand — nach mehreren Ausflügen im Allgäu, Verwall und in der Silvretta, meist in Begleitung eines Führers — 1886 endlich die Bestätigung seiner bergsteigerischen Fähigkeiten mit der Erstbesteigung des Totensessels und der ersten Durchsteigung der Winklerschlucht am Totenkirchl (Wilder Kaiser) als Alleingeher. Winkler war kleingewachsen, nicht über 1,50 Meter und kompensierte seinen Mangel, indem er sich einen kleinen Wurfanker baute, den er an einem Seil festmachte und dann über die schwierigeren Steilstufen oder Überhänge warf. So glückten ihm einige der damals kühnsten Berge.
In der Palagruppe bezwang er zusammen mit dem Augsburger Alois Zott die Cima della Madonna durch den heutigen Winklerkamin, dessen Schwierigkeit immer noch mit III eingestuft wird. Später folgten Cima Canali, Pala di San Martino und Sass Maor. Als Achtzehnjähriger (1887) glückte ihm seine erstaunlichste Leistung in den Dolomiten. Er bestieg einen Gipfel der Vajolettürme, der heute seinen Namen trägt. Die Route wird heute mit III bewertet. Aber Winkler kletterte in Nagelschuhen. Sein Unternehmen glich einem kühnen, jugendlichen Aufschrei. Als Alleingeher bestieg er das Zinalrothorn in den Walliser Alpen. Zwei Tage später, am 16. August 1888, wagte er sich wieder allein in die '.Weißhorn-Westwand, wo ihn eine Lawine - den Abgrund riß. Seine sterblichen Überreste wurden erst 68 Jahre (1956) an der Zunge des Weißhorn-Gletschers
Quelle: Der Bergsteiger 1982, Heft 5, Seite 33


Geboren am:
26.06.1869
Gestorben am:
16.08.1889
application/pdf Winkler Georg - BST 1969-10, Seite 765.pdf
application/pdf Winkler_Georg_-_DAV_Mitteilungen_1957-7_Seite_117.pdf

Erste Route-Begehung